Der Zenmeister
Kategorie: Heilpflanze
Der Baldrian ist der Meditationslehrer unter den Pflanzen. Er öffnet Herzen. Und er lehrt uns, zur Ruhe zu kommen, Stille zu erfahren, zu uns selbst zu kommen. So ist Baldrian ein idealer Begleiter für den Übergang in die winterliche Tiefe.
Bald ist es so weit! Samhain naht. Für Hexen ist es das Fest der Feste, das in der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November gefeiert wird. Uns ist es besser bekannt als Allerheiligen oder Halloween. Damit endet die helle und warme Jahreszeit.
Samhain naht:
«Wo tanzen die Ahnen in finsterer Nacht,
Ist Cailleach * unter dem Holler erwacht.
Die Schleier sind brüchig in dieser Zeit,
wenn die Magie des Lebens sich mit der des Todes vereint.
Wohl an, deckt die Tische mit Speis und Trank,
Entfacht die Feuer und schenkt der Göttin euren Dank.
Das Hexenjahr dem Ende sich neigt,
Wenn der erste Strahl der Sonne sich zeigt.»
So lautet ein Gedicht, dessen Urheber ich nicht eruieren konnte. Ich würde das letzte Zeilenpaar abwandeln: «Das Kräuterjahr dem Ende sich neigt, wenn nach der Samhainnacht der erste Strahl der Sonne sich von neuem zeigt.» Zumindest oberirdisch verabschieden sich viele Heilkräuter. Unterirdisch kommen manche aber erst jetzt in die volle Kraft. Zum Beispiel der Baldrian, dessen Wurzelstock man im Herbst – oder aber im Frühjahr, vor dem Austreiben – erntet.
Der Baldrian (Valeriana officinalis) ist ein Meisterkraut der inneren Stille, der Achtsamkeit und der Vermittlung. Er wächst in feuchten Waldlichtungen, an Waldrändern und auf feuchten Wiesen, in der Nähe von Bächen, Flüssen und Seen. An seiner schlanken, aufrechten und hohen Gestalt erkennt man im Baldrian die Präsenz des Planeten Merkur. Auch sein rhythmischer Aufbau, die Blatt-Stängelausprägung, der hohle Stängel und seine rosa schimmernden Schirmblütendolden verweisen auf den geflügelten Götterboten Merkur. Der stärkste Teil des Baldrians ist in seiner Wurzel verborgen: die Merkurpflanze bildet einen kräftigen, gelblichweissen Wurzelstock mit vielen Nebenwurzeln und kurzen Ausläufern. Der intensive Baldriangeruch entwickelt sich erst mit dem Trocknen der Wurzel. * eine hexenhafte Riesin
«Das Kräuterjahr dem Ende sich neigt, wenn nach der Samhainnacht der erste Strahl der Sonne sich von neuem zeigt.»
Im Zeichen der Luft
Die Merkurenergie ist dem Element Luft zugehörig. Die Leichtigkeit und die Beweglichkeit des Luftelementes machen uns wach und dynamisch. Das hilft, uns für Neues zu öffnen und Unbekanntes besser zu verstehen – Merkurpflanzen dienen in Kräuterrezepturen immer als Vermittler, Friedensstifter und Brückenbauer. Deshalb besitzt der Baldrian eine enge Verwandtschaft zum Lebensgeist, zum Spiritus vitalis. Seine äusserst flinke Energie lässt einem die Leichtigkeit des Lebens spüren. Baldrian gilt als Vermittler zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein ebenso wie zwischen Götterwelt und irdischen Mächten.
Die Merkurkraft im Baldrian beherrscht die Balance des Stoffwechsels, des Hormonsystems, der Sprech- und Hörorgane und der Atemwegsorgane. Er wirkt auf den Blutdruck, den Puls, die Atemfrequenz und reguliert die Verdauung. Mit seinen rhythmisch angeordneten Blättern, dem gekerbten Stiel, den weissrosafarbenen Schirmdolden und dem süsslich/schweren Duft, gibt sich der Baldrian als Nerven- und Herzpflanze zu erkennen. Der von Merkur geprägte Baldrian wirkt aus unserer Mitte heraus. Er harmonisiert den Rhythmus des Ein- und Ausatmens, des Herzschlages und der An- und Entspannung. Es ist dieser harmonisierende, rhythmische Pol, der uns gesund hält. Warum? Weil das ganze System Mensch Rhythmus ist. Herz- und Atemfrequenz, Kreislauffunktion, Darmbewegung, Menstruation, Hormonhaushalt - all das würde stagnieren, wenn wir nicht einem rhythmischen Pol unterstellt wären, der in allen Körperfunktionen die Waage hält und immer wieder für Gleichgewicht und Ausgewogenheit sorgt.
Im Brustkorb lebt das Fühlen, die Atem- und Blutbewegung. Durch das Gefühl von Freude, Scham oder Wut verändert sich der Rhythmus des Herzens und der der Atmung. Manchmal erröten wir, ein anderes Mal lässt Furcht oder Schreck den Atem stocken oder gar das Blut in den Adern gefrieren. Deshalb ist langanhaltender Stress so ungesund; er führt zu Anspannungen, zur Destabilisierung des Stoffwechsels und schlussendlich zu einer Fehlsteuerung innerer Organe.
Für starke Nerven
Die Energie des Baldrians hat eine starke Wirkung auf unsere Nervenreize. Das kann man auch von der Signatur der Wurzel ableiten, sieht diese doch unserem Nervensystem ähnlich. Nehmen wir sie zu uns, etwa als Tee, Tinktur oder auch im Weisswein angesetzt, wirkt die Kraft des Baldrians wie Strom auf unseren Körper. Sie ist der übertragende, zündende Funke im Nervensystem, das Lichtspektakel das durch unser Hirn blitzt. Die Baldrianwurzel wirkt teils über die Grosshirnrinde, teils über das vegetative Nervensystem und interagiert aktiv mit den Nervenzellen. Hier sorgt die Baldrianwurzel für eine reibungslose Weiterleitung von Signalen zwischen den Organen und dem gesamten menschlichen System. Wenn diese Bereiche harmonisch aktiviert werden, fühlen wir uns glücklich und entspannt. Deshalb ist Baldrian ein natürliches Anti-Stressmittel für Körper, Geist und Seele. Dennoch wirkt er nicht betäubend. Im Gegenteil. Baldrian macht wach, aufmerksam und beeinträchtigt weder Konzentrations- noch Leistungsfähigkeit.
Baldrian ist bekannt als Heilmittel bei Einschlafstörungen; er greift aber nicht aggressiv in den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus ein. Vielmehr kommt seine einschlaffördernde Wirkung über die Entspannung zustande. Als Vermittler- und Balancepflanze gleicht er ein zu viel an Schlaf mit Wachsein aus, und die Schlaflosigkeit mit Schlaf. Baldrian wirkt bei allen Zuständen von Nervosität, Schlaflosigkeit, Angst- und Spannungszuständen sowie Konzentrationsschwäche sehr ausgleichend.
Dabei wirkt die Heilpflanze nicht direkt auf das Herz; vielmehr wirkt sie über das Hirn auf die Steuerung des Herzens: man wird ruhiger, entspannter und kann besser mit den einströmenden Reizen des Alltags umgehen. So lädt Baldrian leere Batterien auf. Gleichzeitig wirkt er als Herzöffner. Durch dieses Wirken kann aus Angst, Liebe entstehen.
Verborgene Kraft | Vom Baldrian - dessen Blüten von Mai bis August Insekten erfreuen - verwendet man die Blätter, hauptsächlich aber den Wurzelstock, den man im Herbst oder Frühjahr ausgräbt, reinigt und trocknet. Der Tee daraus wirkt beruhigend, nervenstärkend, schlaffördernd, krampflösend, schmerzstillend und blutdrucksenkend.
Dialog mit der Merkurkraft
In der Pflanzenmeditation begegnet mir der Baldrian als ein menschenähnliches, Buddha gleiches Wesen: zutiefst zufrieden im Schneidersitz in einer Höhle ruhend, umgeben von einem lilafarbenem Schleierlicht. Seine Botschaft kann ich so übersetzen: «Ich besitze die Meisterschaft der Tiefenentspannung, der Ausgeglichenheit und der Wachheit des Augenblickes. Ich dringe tief, bis in deinen molekularen Raum vor. Von dort steigere ich deine Fähigkeit, dich trotz der vielen Ablenkungen auf das Wesentliche und den Puls des Augenblicks konzentrieren zu können. Gemeinsam erschaffen wir deinen eigenen Raum der Gelassenheit und Stille. Ich helfe dir, dass du ganz bei dir sein kannst und die Kraft in deiner Ruhe spürst. Ich beruhige deine übersteigerte Gedankenaktivität und die Neigung zur Gedankenflucht. Deine Ängste können verfliegen, deine Freude wird grösser und du findest Lösungen. In diesem Raum lehre ich dich, ehrlich mit dir selbst zu sein. Ich helfe dir wahrzunehmen, was in deinen eigenen Bereich der Verantwortung fällt und was nicht.»
«Der Baldrian weckt die Lebensgeister. Seine Merkurenergie wirkt als Vermittler, Friedensstifter und Brückenbauer.»
Steven Wolf hat schon als Kind von seiner Grossmutter altes Pflanzenwissen gelernt und weiss um die Kraft der Natur mit all ihren sichtbaren und unsichtbaren Wesen. Er lebt in Escholzmatt, wo er zusammen mit seiner Partnerin ganzheitliche Pflanzenkurse für interessierte Menschen durchführt. Im Lochweidli steht dafür eine eigens gebaute Schuljurte. www.pflanzechreis.ch
«Slow Down and Take it Easy»-Tee
Für die Zubereitung eines Baldriantees benötigt man 1 Teelöffel Baldrianwurzel (Valerianae radix). Man übergiesst die geschnittenen Wurzelstücke mit 250-300 ml kochendem Wasser und lässt den Tee mindestens zehn Minuten zugedeckt ziehen. Dann den Tee in kleinen Schlucken trinken.
Wirksamer ist der Kaltwasserauszug
Hierzu lässt man 1 Teelöffel der geschnittenen Baldrianwurzel während gut 12 Stunden in 300 ml kaltem Wasser stehen. Dann absieben und die Wurzelstücke nochmals wie oben mit kochendem Wasser überbrühen und fünf Minuten ziehen lassen. Kalt- und Warmauszug mischen und langsam trinken. Bei Bedarf mit etwas Honig süssen.
Schmackhafte Blätter
Die Blätter des Baldrians sind essbar. Frische Austriebe sind sie am leckersten: Ihr Geschmack erinnert an Feldsalat. Hin zur Blütezeit lässt das Aroma stark nach. Optimalerweise sammelt man die Blätter deshalb bevor gegen Ende April die langen Blütenstiele emporschiessen. Doch grundsätzlich können die Blätter bis Oktober gepflückt und Salaten beigemischt werden. Sie eignen sich auch prima für Smoothies oder Eintöpfe.