Sabine Hurni über gut gekaut ist halb verdaut
50- bis 60-mal. So oft sollte man eine Gabel voll Nahrung kauen, bevor man sie schluckt. Sie denken jetzt vermutlich, dass das nicht möglich sei. So jedenfalls habe ich reagiert. Aber mein Selbstversuch lehrte mich eines Besseren: Es ist nicht bei allen Lebensmitteln möglich, doch bei sehr vielen Lebensmitteln kann man während dem Kauen locker dreimal bis 20 zählen und dabei ganz neue Esserfahrungen machen. Nahrungsfasern werden spürbar, der Geschmack entfaltet sich, die Essgeschwindigkeit verlangsamt sich, man spricht weniger und man ist bedeutend schneller satt. Auch den Magen freuts. Der Ausdruck: «Gut gekaut ist halb verdaut» kommt nicht von ungefähr. Was die Zähne an Kauarbeit verrichten, erleichtert dem Magen die Arbeit.
Ganz besonders wichtig ist das ausgiebige Kauen für Menschen mit Sodbrennen und Refluxerkrankungen. Der Übergang zwischen Magen und Speiseröhre ist ein funktioneller Schwachpunkt des Körpers. Es gibt dort keinen richtigen Schliessmuskel. Deshalb ist es verhältnismässig einfach, dass Mageninhalt in die Speiseröhre gelangen kann, also ein Rückfluss, auch Reflux genannt, stattfindet. Dadurch wird Sodbrennen ausgelöst. Es zeigt sich mit einem Brennen im oberen Bauch, das sich bis in den Bereich des Brustbeines ausbreiten kann. Auch ein Zwerchfellbruch, ausgelöst durch starkes Husten, kann zu einer leichten Öffnung des Überganges führen und den Reflux und somit das Sodbrennen begünstigen.
Magensäure ist wichtig
Das Problem dabei ist die Magensäure. Diese ist genauso wichtig für die Verdauung wie die Zähne, der Speichel und der Darm. Der Magen produziert täglich rund zwei Liter Magensaft. Dieser besteht aus Salzsäure und hat einen PH-Wert von 1 bis 2. Durch die starke Säure werden alle Eiweissmoleküle angegriffen. Zudem wirkt die Salzsäure keimreduzierend. Das schützt den Körper vor Bakterien und Viren, die sich in der Nahrung befinden können. Die Magensäure aktiviert in einem zweiten Schritt die eiweissaufspaltenden Enzyme, die Pepsine. Sie zerlegen die Eiweissmoleküle, damit sie vom Darm ins Blut aufgenommen werden können. Weil die Pepsine nicht zwischen körpereigenen Eiweissen und Nahrungseiweissen unterscheiden können, ist der Magen mit einer Schleimschicht ausgekleidet, die ihn vor den aggressiven Säuren schützt. Die Magensäure ist zudem verantwortlich für die Produktion eines Hilfsstoffes, der später im Darm die Aufnahme von Vitamin B12 gewährleistet.
Ursachen von Magenbrennen
Dass Magensäure in die Speiseröhre zurückfliesst, kann viele Ursachen haben. Häufig liegt das Problem beim Essverhalten: Zu hastiges Essen, sich überessen, viel Reden und mit den Gedanken woanders sein ist ein Riesenstress für den Magen. Ebenso mangelhaftes Kauen und das Verdauen von industriell verarbeiteten Produkten. Häufig machen auch zucker- und fettreiche Speisen Probleme, alkoholische Getränke oder Stress. Auch Helicobacter- Infektionen und eine chronische Übersäuerung des ganzen Körpers können zu Magenbrennen führen.
Viele Betroffene greifen zu Säureblockern, um die schmerzende Säure zu neutralisieren oder zu binden. Magenbrennen sollte man jedoch nicht dauerhaft mit schnellen, medikamentösen Soforthilfen behandeln, ohne gleichzeitig die Ursachen anzugehen. Die Heilmittel sind wertvoll für akute Beschwerden, das Problem ist damit jedoch nur vorübergehend gelöst. Fehlt die Magensäure, hat dies Auswirkungen auf die Nährstoffaufnahme, das Immunsystem und die Verdauungskraft.
Ebenso häufig: Mangel an Magensäure
Dazu kommt, dass die Magensaftproduktion ab dem 50. Lebensjahr stark abnimmt. Das Zuwenig an Magensäure zeigt sich jedoch mit ähnlichen Beschwerden wie ein Zuviel an Säure. Dies, weil hier der Magen viel stärker kneten muss und mehr Zeit benötigt, um die Eiweisse aufzuschlüsseln. Das Sodbrennen tritt später auf, wenn der Speisebrei reichlich Säuren enthält und gegen den Mageneingang gedrückt wird. Wer in diesem Fall zu Säureblockern greift, tut sich keinen Gefallen.
Ein Mangel an Magensäure zeigt sich mit Allergien auf Nahrungsmittel, einer Anfälligkeit auf Viren und Bakterien, dem Mangel an Mineralstoffen und entsprechende Auswirkungen wie Haarausfall, schlechte Haut, brüchige Nägel. Auch ein gereizter Darm mit Durchfällen und/oder Verstopfung kann durch einen Mangel an Magensäure verursacht sein.
Was tun, um das Feuer zu löschen
Um die Ursache für Sodbrennen am Schupf zu packen, muss man an mehreren Schrauben drehen. Wenn Sie hastig essen, nehmen Sie dort Tempo raus. Essen Sie achtsam, bewusst und genussvoll. Nehmen Sie sich Zeit und geniessen Sie jeden Bissen. Kauen Sie Lebensmittel mit Samenhülle wie ungeschälte Hanfsamen, Vollkornreis oder Leinsamen rund 60-mal. Wenn die Zeit dazu fehlt, kaufen Sie besser geschrotete Leinsamen, geschälte Hanfsamen oder weissen Reis. Machen Sie Pausen von drei bis fünf Stunden zwischen den Mahlzeiten. Das Essen sollte nicht zu heiss und nicht zu kalt sein. Essen Sie das Essen lieber lauwarm, wenn Sie an Magenbrennen leiden. Wer Sodbrennen hat, sollte zu den Mahlzeiten kein Wasser trinken, stattdessen die Nahrung gut einspeicheln.
Bringen Sie den Säure-Basen-Haushalt ins Gleichgewicht, indem Sie die Kohlenhydrate von den Eiweissen trennen und viel Gemüse als Beilage essen. Machen Sie zudem einen Selbsttest mit Bitterstoffen: Wenn Sie die Bittertropfen nach dem Essen als angenehm empfinden, dann haben Sie vermutlich zu wenig Magensäure und sollten vermehrt Bitterstoffe zu sich nehmen. Wenn der bittere Geschmack bei Ihnen Magenbrennen hervorruft, dann greifen Sie eher zu natürlichen Säurebindern wie Heilerde, Kartoffelsaft, Manukahonig oder das Kauen von Kardamom. Auch das Kauen von Haferflocken hilft. Nicht dreimal oder zehnmal, sondern mindestens fünfzigmal.