Wiedergutmachung in der Liebe

Ich will doch nur, dass er sich EINMAL bei mir entschuldigt», klagt mir eine Freundin ihr Leid.  «Er», das ist ihr Mann. Sonst ein fürsorglicher Beziehungspartner – grosszügig, liebevoll, einfühlsam – reagiert er extrem empfindlich auf Kritik, wird laut, aggressiv, manchmal beleidigend. Hinterher tut es ihm leid. Aber entschuldigt hat er sich nie.


«Er», das ist ihr Mann. Sonst ein fürsorglicher Beziehungspartner – grosszügig, liebevoll, einfühlsam – reagiert er extrem empfindlich auf Kritik, wird laut, aggressiv, manchmal beleidigend. Hinterher tut es ihm leid. Aber entschuldigt hat er sich nie.

«Warum ist das für dich so wichtig?» frage ich sie.
«Er soll wahrnehmen, dass mir das wehtut.»
Aber kann das eine Tat wiedergutmachen?

Anscheinend ja. Das lerne ich von zwei Menschen, die eine wesentlich tiefere Verletzung erfahren beziehungsweise verursacht haben als einen Beziehungskonflikt: Patrick Magee, ehemaliger IRA-Kämpfer, legte die Bombe, die Jo Berrys Vater tötete. Das war vor 40 Jahren. Nachdem Patrick, heute 73, frühzeitig freikam, wollte Jo von ihm wissen: Warum hast du meinen Vater umgebracht? Aus einer Begegnung wurden viele, inzwischen gibt es Bücher und einen Film über ihre Versöhnungsarbeit.

Jo, heute 67, sagt: «Ich hatte ein Jahr im Himalaya gelebt, meditiert und für inneren Frieden gearbeitet. Aber nichts hat mich auf den Schmerz vorbereitet, den ich nach dem Tod meines Vaters erfuhr. Mein Leben geriet aus den Fugen. Schliesslich beschloss ich, den Mörder meines Vaters kennenzulernen.» Sie bereitete sich lange darauf vor, bereiste Nordirland, studierte die Hintergründe des Konfliktes.

«Als die Nachricht kam, dass ich ihn am selben Tag treffen könnte, wäre ich am liebsten abgehauen», erzählt sie. Doch sie ging trotzdem. Die erste Stunde verbrachte Patrick damit, seine Tat mit seinen politischen Motiven zu rechtfertigen und dass er keinen anderen Weg gesehen hätte als Gewalt.

Jo: «Das tat mir weh, aber damit hatte ich gerechnet. Ich hörte zu, liess ihm den Raum und entdeckte, dass er ein Mensch war, dem seine nordirische Gemeinde wichtig ist. Er wollte ihr Leiden beenden. So entdeckte ich seine Menschlichkeit – er war kein Dämon mehr für mich. Möglicherweise hätte ich in seiner Situation ebenso gehandelt.»

Patrick erinnert sich: «Sie – die Tochter eines meiner Opfer – hörte mir so zu, wie mir noch nie jemand zugehört hatte. Das hat mich entwaffnet. Sie war ein feiner Mensch, merkte ich – und wahrscheinlich war ihr Vater auch ein feiner Mensch gewesen. Ich bin also für den Tod eines feinen Menschen verantwortlich. Damit muss ich bis ans Ende leben.»

Seine Scham darüber brennt. Jo weiss: «Um Scham und Schuld nicht zu fühlen, begehen wir oft noch grössere Fehler. Aber wenn wir das Gefühl zulassen, kann Scham zu einer Motivation für etwas Neues werden.» Einmal entwaffnet, fragte Patrick weiter: «Was war dein Vater für ein Mensch? Wie war es, ihn zu verlieren?» Das Gespräch veränderte das Leben beider. Viele weitere folgten, der Versöhnungsprozess dauert an.

«Hast du ihm vergeben?», frage ich Jo. «Nein, das habe ich nicht. Ich bin kein höheres Wesen, das über richtig und falsch zu Gericht sitzt. Ich konnte aber aufhören, ihn zu verurteilen – und ihm dennoch zeigen, was er mir angetan hat.» Wir können unsere Taten nicht ungeschehen machen. Aber wenn wir uns für den Schmerz oder die Angst des anderen öffnen, dann kann etwas in Liebe heilen – in uns und in unserem Gegenüber.

Leila Dregger ist Journalistin und Buchautorin. Sie begeistert sich für gemeinschaftliche Lebensformen, lebte u. a. über 18 Jahre in Tamera, Portugal, sowie in anderen Gemeinschaften. Am meisten liebt sie das Thema Heilung von Liebe und Sexualität sowie neue Wege für das Mann- und Frau-Sein.

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