Küssen macht schön

Was wurde nicht alles schon über das Küssen gesagt. Und das meiste stimmt auch: Küssen ist der ursprünglichste Ausdruck der Liebe. Jeder und jede kann es. Gleich welches Alter, Geschlecht, Vorlieben, Bildung, Beziehungsstand. Küssen ist so einfach wie atmen – und gleichzeitig können wir diese Kunst immer noch verfeinern. Übung macht die Meisterin.


Auch das stimmt: Küssen ist gesund. Es belebt den Blutkreislauf und stärkt das Immunsystem. Nicht alle Völker küssen. Aber wo sie es tun, küssen sie nicht nur ihre Liebespartner, sondern auch Kinder, Eltern, Geschwister. Sie küssen aus Freude oder Begehren, aus Mitgefühl, zur Begrüssung, zum Abschied. In Regionen, wo Küssen zum Alltag gehört – wie Südeuropa – gibt es einen regelrechten Kuss-Knigge. Falsches Küssen oder der falsche Anlass lässt einen tief im Kuss-Fettnäpfchen versinken.

Was wir lieben, wollen wir mit unserem zartesten und sichtbarsten Körperteil berühren, den Lippen. Wir küssen nicht nur Menschen, sondern auch Haustiere, die Landesfahne, die Bibel oder die Heimaterde. Doch nur wenn wir Menschen küssen, kommt diese erregende Gegenseitigkeit hinzu. Mit Lippen berühren sich nicht nur Körperteile mit extrem hoher Nervendichte und Feinfühligkeit. Es berührt sich auch etwas überaus Persönliches, so als trügen wir das Allerinnerste auf den Lippen, das wir uns nur bei besonderer Zuneigung darbieten.

Prostituierte machen für Geld zwar Sex, aber sie, so heisst es, küssen nicht. Denn Küssen ist intimer als Sex, und geht nur mit einem Gegenüber. Sexuell befriedigen können wir uns auch selbst. Aber uns selbst küssen? Das ist wie einhändiges Klatschen.

Mit unseren Lippen die eines Gegenübers zu berühren, kann sowohl beruhigend wirken – wie beim Gute-Nacht-Kuss oder dem stempelartigen Bestätigungskuss des Menschen, der zu uns gehört. Aber auch ungeheuer erregend und geradezu atemberaubend. Denken Sie an den allerersten Kuss der Geliebten, an diesen unglaublichen, einen Moment, wo das ganze Leben sich in einem winzigen Punkt vereinigt – den Lippen.

Küssen ist pure Präsenz. Ist Hingabe, Loslassen, Da-Sein – beim anderen und bei uns selbst. Aber – und das klingt überraschend: Küssen ist auch achtsames Begrenzen. Würden wir beim begehrenden Küssen unsere Erregung nicht bewusst begrenzen, dann schlecken wir den anderen vielleicht vor lauter Lust ab wie einen grossen Lolli – das aber ist kein Küssen.

Bei all dem schon gesagten gibt es ein weiteres Geheimnis beim Küssen, nämlich: Küssen macht schön. Diese gegenseitige, wagemutige, liebevolle Berührung, diese zärtlich-wollende Aufmerksamkeit lassen das Gesicht unseres Gegenübers durchbluten, erstrahlen und aufblühen. Kein Zweifel: Ein geküsster Mensch ist ein schöner Mensch.

Deshalb: Küssen lernen lohnt sich. Die erste Lektion: Ein guter Kuss braucht Zeit. Soll er ein Liebesspiel einleiten, dann beginnt er wie ein Hauch, steigert sich in immer süssere Lippen- und Zungenberührungen, wird fordernd, überwindet Grenzen – und ist eine Einladung, die eigenen Grenzen überwinden zu lassen.

Aber ob ein erotischer oder ein freundschaftlicher Kuss, er beginnt mit und erzeugt etwas, was wir alle wollen, aber viel zu wenig haben: Nähe. Darum: Küsst euch mehr!

Leila Dregger ist Journalistin und Buchautorin. Sie begeistert sich für gemeinschaftliche Lebensformen, lebte u. a. über 18 Jahre in Tamera, Portugal, sowie in anderen Gemeinschaften. Am meisten liebt sie das Thema Heilung von Liebe und Sexualität sowie neue Wege für das Mann- und Frau-Sein.

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