Ein strenger Lehrer fürs ganze Leben
Wer liebt, wird irgendwann mit dem Tod zu tun bekommen. Denn Liebe hört nicht auf, wenn das Gegenüber oder man selbst sich dem Sterben nähert. Auch dann füreinander da zu sein, sich zu begleiten, aber auch loszulassen – ist einer der tiefsten Liebesdienste.
Leila Dregger
Sich mit dem geliebten Menschen über die eigene Sterblichkeit zu verständigen, ist fordernd, aber auch ungemein befreiend. Meine Eltern konnten das nicht. Wenn mein Vater sagte: «Falls ich vor dir sterbe, sollst du wissen …», unterbrach meine Mutter ihn: «Du stirbst nicht vor mir, also hör auf damit.» Doch genau das tat er – und wir suchten ewig nach den notwendigen Papieren. Das sollten wir füreinander tun: uns gegenseitig von unnötigen Sorgen zu befreien – zum Beispiel, ob man auch alles gut geregelt hat für seine Liebsten. Umgekehrt möchte ich meinen Hinterbliebenen keine belastenden Entscheidungen zumuten – etwa wann man lebenserhaltende Maschinen ausschalten lässt, wie man die letzten Tage und Stunde verbringen will, wen man um sich wünscht, wie man bestattet werden möchte.
Mein Liebster und ich nahmen uns Zeit, um uns gegenseitig nach diesen Dingen zu auszufragen. Es macht Angst, sich die Tatsache des kommenden Sterbens so nah vors Auge zu holen, aber auch schön, da beieinander zu sein.
Trotz aller Vorbereitung wissen wir nicht, wie unsere letzten Momente sein werden. Elisabeth Kübler-Ross hat tausende Menschen beim Sterben begleitet. Am Ende, so fand sie, belastet uns vor allem Mangel an Liebe. Sie sagte: «Richtig leben lernen heisst im eigentlichen Sinne lieben lernen.» Leider verlor sie selbst beim Sterben ihre Gelassenheit.
Und – was geschieht nach dem Tod mit der Liebe? Viele Paare möchten sich auch nicht vom Tod scheiden lassen. Ein befreundetes älteres Paar, das Jahrzehnte ohne Trauschein zusammenlebte, heiratete vor kurzem: Nach ihrer buddhistischen Orientierung soll die Ehe dabei helfen, sich nach dem Tod wiederzufinden und auf eine gemeinsame Wiedergeburt vorzubereiten.
Persönliche Erfahrungen und Übereinstimmungen verschiedener Kulturen vermitteln uns die Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod. So träumte eine Freundin von mir nach dem Tod ihres Mannes 40 Nächte lang intensiv von ihm. Er zeigte ihr, wo er jetzt ist. Sechs bis sieben Wochen wird in verschiedenen Kulturen übereinstimmend als die Zeit angegeben, wo die Seele noch ganz nahe ist.
Ich erfuhr etwas Ähnliches nach dem Tod eines nahen Freundes. Bis zuletzt hatten wir an ein Wunder geglaubt. In der Nacht nach seinem Tod war ich bodenlos verzweifelt. Ich stand irgendwann auf und rief in die Nacht: Wo bist du jetzt? Ich schwöre, in dem leeren Zimmer war auf einmal eine Präsenz, die mir sagte: Hier bin ich. Der Tod ist nicht schlimm. Ich fühlte mich sofort getröstet.
Ich persönlich glaube nicht, dass wir mit unserer Persönlichkeit weiter existieren. Aber ich glaube, dass unsere seelische Essenz weiterlebt – wir werden wieder eins mit Erde, Wasser, Luft, anderen Seelen. Und wenn wir lieben, können wir die seelische Existenz des verstorbenen Geliebten manchmal ganz sacht als Person wahrnehmen. Deshalb heisst es im Hohelied der Liebe: Stark wie der Tod ist die Liebe. Ich glaube sogar: stärker.
Leila Dregger ist Journalistin und Buchautorin. Sie begeis-
tert sich für gemeinschaftliche Lebensformen, lebte u. a. über 18 Jahre in Tamera, Portugal, sowie in anderen Gemeinschaften. Am meisten liebt sie das Thema Heilung von Liebe und Sexualität sowie neue Wege für das Mann- und Frau-Sein.