«Zeig mir Deinen Magen und ich sage, was Du frisst!»
Mensch und Tier müssen essen, um zu überleben. Doch die Grösse und der Aufbau der Verdauungssysteme sind sehr unterschiedlich. Auch die Art und Dauer des Verdauungsprozesses variieren. Die Vielfalt ist so gross, weil auch die Nahrungsgrundlage so divers ist.
Samuel Krähenbühl
Die Mägen und Därme von Lebewesen sind so verschieden wie die Lebewesen selbst. Und die Vielfalt ist wirklich erstaunlich gross. Denken wir schon nur mal an die sogenannten «Urmünder» wie etwa die Neunaugen, welche zwar Rippen, aber keine Kiefer haben und ihr Leben als Parasiten auf anderen Fischen verbringen. Es würde aber hier zu weit führen, das ganze Tierreich in die Betrachtung einzubeziehen. Beschränken wir uns also auf die Säugetiere. Diese haben neben allen Unterschieden auch einige Gemeinsamkeiten. Zunächst ist es die Ernährung der Frischgeborenen mit Milch aus den mütterlichen Milchdrüsen. Dann haben auch später alle Kategorien vom Pflanzenfresser über die Allesfresser bis zu den Fleischfressern einen Verdauungskanal mit einem Mund, einer Speiseröhre, einem oder auch mehreren Mägen, einem Dünndarm und einem Dickdarm.
Spitzmaus darf nur drei Stunden hungern
Sowohl Pflanzenfresser als auch Fleischfresser haben aber Anpassungen in ihren Verdauungskanälen, die auf der Art der Nahrung beruhen, die sie zu sich nehmen. Extrem schnell verdaut die kleine Spitzmaus. Sie darf nicht länger als drei Stunden ohne Futter bleiben, sonst verhungert sie. Daher frisst eine Spitzmaus in 22 Stunden täglich etwa so viel, wie sie selbst wiegt. Extrem langsam verdauen Wiederkäuer wie die Kuh. Eine Woche braucht die Nahrung auf ihrem Weg allein durch die vier Mägen. Ja, das Rindvieh hat nicht weniger als vier Mägen. Noch komplizierter wird es dadurch, dass sich die Bedeutung der Mägen während dem Rinderleben auch noch ändert. Dazu später mehr.
Pflanzenfresser, Allesfresser, Fleischfresser
Aufbau, Länge und Verdauungsprozesse der verschiedenen Magen-Darm-Systeme hängen massgeblich von der Art der Nahrung ab. Ganz grob kann man die Tierwelt in drei Gruppen aufteilen: Die Herbivoren (Pflanzenfresser), die Carnivoren (Fleischfresser) und die Omnivoren (Allesfresser). Ebenfalls sehr generell kann man sagen, dass die Herbivoren die längsten Magen- Darm-Systeme haben, die Omnivoren mittellange und die Carnivoren die kürzesten. Die Länge des Darmes hängt von der Ernährungsart ab: Beim Fleischfresser (z. B. Katze) ist er relativ kurz: dreimal die Körperlänge. Beim Allesfresser (z. B. Mensch, Schwein) hat er eine mittlere Länge: viermal die Körperlänge. Pflanzenfresser haben den längsten Darm. Den längsten Darm aller Tiere hat der grosse Pottwal. Bis zu 24-mal so lang wie das Tier ist sein Darm, die «Verdauungsstrecke» kann also bis zu 650 Meter lang werden. Das hängt aber eben vor allem auch mit seiner enormen Grösse zusammen. Nehmen wir Beispiele von durchschnittlicheren Tieren. Das Rindvieh als Wiederkäuer von pflanzlicher Nahrung hat eine Darmlänge von rund 50 Metern. Davor geschaltet sind aber noch die Mägen. Eine Katze hingegen hat einen sehr kurzen Darm von nur rund 1,9 Metern Länge. Das ist typisch für ein fleischfressendes Raubtier. Wir Menschen als «Allesfresser» haben hingegen ein mittellanges Magen-Darm-System von rund acht Metern Länge.
Einfache Fleischverdauung
Warum ist das aber nun so? Warum kommen fleischfressende Tiere mit so viel kürzeren Därmen aus als Pflanzenfresser? Fangen wir beim Beantworten der Frage beim einfacheren Beispiel an. Den Fleischfressern. Und beginnen wir nicht erst im Magen, sondern bereits beim Maul. Fleischfresser haben in der Regel Fangzähne und keine Mahlzähne. Ja, ihr Kiefer ist so eingehängt, dass er sich nur vertikal, aber nicht horizontal bewegen kann. Mit ihren starken, spitzen Zähnen können Fleischfresser also relativ gut Fleischstücke aus einem Körper reissen, diese aber danach nicht zerteilen. Sie haben auch keine Verdauungsenzyme im Speichel. Die Fleischstücke landen deshalb relativ gross im Magen. Da tierisches Gewebe leicht verdaulich ist, ist der Verdauungskanal der Fleischfresser kurz und einfach. Das Eiweiss im Fleisch ist vergleichsweise einfach verdaubar und liefert viel Energie. Auf der anderen Seite kann fleischliche Nahrung auch schnell verderben oder potenziell giftige Bestandteile enthalten. Deshalb ist es für Fleischfresser von Vorteil, ein kurzes Magen-Darm-System mit einer ebenso kurzen Verweildauer des Gefressenen zu haben. Dafür müssen die Enzyme im Verdauungssystem stärker sein.
Etwas kompliziertere Allesfresser
Ganz anders und auch wesentlich komplizierter verläuft die Verdauung von pflanzlicher Nahrung. Das Problem dabei: Der Hauptbestandteil von Pflanzen ist Zellulose, welche die Zellwände bildet. Fleischfresser oder auch Allesfresser, zu denen wir Menschen gehören, können die Zellulose in den Pflanzen nicht aufschlüsseln. Trotzdem macht es für Allesfresser durchaus Sinn, auch zellstoffreiche Pflanzen zu essen. Zum einen ist die Zellulose – früher «Ballaststoffe» genannt – für unsere Verdauung anregend. Und zum anderen enthalten viele Pflanzen natürlich auch noch andere Bestandteile wie Zuckerverbindungen oder Stärke, welche wir Menschen verwerten können. Bei der Zellulose als Hauptbestandteil der meisten Pflanzen versagt unser Magen-Darm-System aber dann. Dies, obschon es sich bei der Zellulose im Grunde um eine Art Zucker handelt. Ganz konkret um ein Polysaccharid (Vielfachzucker).
Komplizierte Pflanzenverdauung
Wir wollen hier die recht komplexen chemischen Zusammenhänge beiseitelassen. Wichtig zu wissen ist einfach, dass es spezialisierte Strategien braucht, um die Zellulose aufzuschlüsseln und in für das Tier verwertbare Verbindungen umzuwandeln. Dazu müssen auch die Pflanzenfresser externe «Helferlein» beiziehen. Nämlich Mikroorganismen, welche auch ohne Sauerstoff im Magen-Darm-System die Zellulose in verwertbare Energie umwandeln. Um dies zu bewerkstelligen, braucht es deshalb wesentlich kompliziertere Abläufe. Nehmen wir als Beispiel die Wiederkäuer, zu denen etwa das Rindvieh, die Ziegen und die Schafe gehören. Sie können unverdauliche Rohfasern in wertvolle Energie verwandeln. Während etwa Gras oder Stroh für uns Menschen, aber auch für andere Allesfresser wie etwa Schweine und erst recht für reine Fleischfresser unverdaulich sind, können die Wiederkäuer daraus viel Energie ziehen. Eines der wesentlichen Elemente dazu ist, dass Wiederkäuer ihre Nahrung eben nicht nur einmal im Maul behandeln, sondern das bereits einmal geschluckte Fressen wieder hochwürgen und noch einmal langsam durchkauen. Deshalb hat eine Kuh dann auch vier Mägen: Pansen, Netzmagen, Blättermagen und Labmagen.
Wiederkäuer wie etwa das Rindvieh haben nicht weniger als vier Mägen. Hier die deutschen Begriffe für die lateinischen Namen in der Graphik: Esophagus (Speiseröhre), Reticulum (Netzmagen), Omasum (Blättermagen), Abomasum (Labmagen), Rumen (Pansen) und Intestine (Darm).
Pansen
Der Pansen ist der erste der insgesamt 4 Mägen eines Rindes, er ist eine mächtige Gärkammer. Viele Milliarden von Bakterien und Einzellern (insgesamt etwa sieben Kilo pro Kuh) bevölkern den Pansen und produzieren bei ihrer Tätigkeit Säure. Die Kuh schluckt das Gras anfänglich nur hinunter. Danach legt sie sich gemütlich zur Ruhe und beginnt mit der Wiederkautätigkeit. Hierbei werden schon von Bakterien angegriffene Pflanzenteile durch einen Reflex ins Maul zurückbefördert und dann eingehend gekaut. Die kräftigen Mahlzähne zerreiben das Futter zu einem feinen Brei. Dabei wird jeder Bissen kräftig eingespeichelt. Eine Kuh produziert dazu 200 Liter Speichel am Tag.
Netzmagen
Der Netzmagen liegt neben der Einmündung der Speiseröhre in den Pansen. Er kann sich stark zusammenziehen und befördert dadurch einerseits das Futter portionsweise zurück ins Maul zum Wiederkäuen und andererseits genügend zerkleinertes Futter weiter in den Pansen. Der Netzmagen siebt praktisch die Nahrung und lässt in den Blättermagen nur das durch, was fein genug ist. Bei der Verdauung spielt er nur eine untergeordnete Rolle.
Blättermagen
Wurde das Futter lange genug von Bakterien zersetzt (nach ein bis drei Tagen), verlässt es schluckweise den Pansen und gelangt durch Netzmagen in den Blättermagen. Er ist der letzte Vormagen. Eine seiner Hauptaufgaben ist die Resorption (aufsaugen, aufnehmen) von Wasser, Nährstoffen und von Natriumbicarbonat.
Labmagen
Der Labmagen, der letzte der vier Mägen einer Kuh, ist der eigentliche Hauptmagen. In ihm laufen die gleichen Vorgänge ab, wie im Magen eines Nichtwiederkäuers (z. B. beim Menschen oder Schwein). Der pH-Wert wird hier in den sauren Bereich (pH-Wert ca. 3,0) abgesenkt. Salzsäure löst die noch vorhandene Struktur der Nahrungsbestandteile. Pepsin nimmt die Resteiweissspaltung vor. Das Eiweiss stammt zum grossen Teil von den Bakterien, die durch die Magensäure getötet wurden. Spannend ist wie bereits oben erwähnt, dass diese hier beschriebene Verdauung erst bei den erwachsenen Tieren so abläuft. Denn die Kälber werden mit einem noch unausgereiften Magensystem geboren, das vorerst allein auf die Verdauung von Milch ausgelegt ist. Deshalb ist bei Kälbern der Labmagen am grössten, weil er für die Verdauung der Milch verantwortlich ist. Erst mit der Aufnahme von Raufutter werden die anderen Mägen wie namentlich der Pansen aktiv.
Bei Pferden ist wieder alles etwas anders
Somit haben wir oben in einer Kurzfassung das auf pflanzliche Nahrung hochspezialisierte Magen-Darm-System von Wiederkäuern kennengelernt. Ein Verdauungssystem, das am Ende eigentlich gar nicht so vegetarisch ist, wie es den Anschein macht. Denn ohne die riesige Zahl von Bakterien, welche ihrerseits am Ende auch «verschluckt» werden, könnten Kühe, Ziegen oder Schafe gar nicht verdauen. Wichtig zu wissen ist allerdings, dass die Wiederkäuerverdauung nur eine der Strategien ist, wie Pflanzenfresser die Zellulose «knacken». Bei Pferden etwa sieht alles wieder anders aus. Sie käuen nicht wieder und haben einen eher kleinen Magen mit nur rund 15 Litern Fassungsvermögen. Aber auch bei ihnen spielen Mikroben und Enzyme für die Zersetzung eine Schlüsselrolle bei der Verdauung, welche vor allem im Dickdarm stattfindet. Ohne Mikroben funktioniert die Verdauung aber auch bei uns Menschen als sogenannte «Allesfresser» nicht. Wir denken meist erst dann an unsere inneren «Helferlein», wenn es ihnen nicht so gut geht.