Wickel mit «Medizin» aus der Küche

Lebensmittel, Gewürze oder Teekräuter: In unserer Küche verstecken sich Heilmittel mit uralter Tradition, die – richtig angewendet – als Wickelzusätze bei Jung und Alt Beschwerden lindern und Stress abbauen. Ein Streifzug durch die Schränke.

Erna Jonsdottir, Illustration: Sonja Berger

«Essigsöckli» bei Fieber oder ein «Zibelewickel» bei Halsschmerzen: Viele haben in ihrer Kindheit Erfahrungen mit Mutters oder Grossmutters Heilkünsten gemacht, die sich wohlig anfühlten und wie durch Zauberhand Linderung verschafften. Dafür mussten unsere Mütter nicht einmal in eine Apotheke – die Wickelstoffe kamen aus der Schublade und die Zusätze aus dem Küchen- oder Kühlschank.

Wickel und Kompressen zählen zu den ältesten Heilmethoden dieser Welt. Sie haben eine lange Geschichte und eine alte Tradition, deren Wurzeln in der Antike zu finden sind: Schon der berühmte Arzt Hippokrates (460–370 v. Chr.) berichtete vor über 2000 Jahren in seinen Schriften von Anwendungen mit Baumwolle und Wasser oder Öl.

Damals wie heute werden Wickel und Kompressen sowohl in der Volksheilkunde als auch als Hausmittel angewendet. Das Wissen beruht auf Erfahrungen, die seit Jahrhunderten von Generation zu Generation, meist von Frau zu Frau, weitergegeben wurden.

Wickel erleben ein Comeback

Trotzdem wäre es falsch von einer «Grossmuttermedizin » zu reden. Denn während Wickel und Kompressen in der Naturheilkunde seit jeher mit den verschiedensten Zusätzen angewendet und empfohlen werden, zählen sie in Therapiezentren, Praxen und Kurhäusern heute zu den komplementären Behandlungen.

In der Schulmedizin gehören Wickel und Kompressen zu den physikalischen Anwendungen, die vor allem in der Physiotherapie und in der Pflege verwendet werden. Anklang finden Wickel und Kompressen auch bei der Spitex oder bei ausgewiesenen Alters- und Pflegheimen, die mit Fachkräften wie Heilpraktiker*innen zusammenarbeiten.

Faszinierende Wirkung

Wickel und Kompressen haben viele Vorteile: Sie können zum Beispiel Fieber senken oder Schmerzen lindern. Sie wirken entzündungshemmend, abschwellend oder fördern die Durchblutung. Hinzu kommt, dass Wickel und Kompressen Zuwendung und damit Zeit schenken. Durch die Nähe und Berührung entsteht ein Gefühl von Geborgenheit. Das steigert das Wohlbefinden bei Jung und Alt, baut Stress oder Unruhe ab und unterstützt sogar den Schlaf.

Voraussetzung ist, dass die Wickel und Kompressen korrekt angewendet und die Kontraindikationen beachtet werden. Eine falsche Anwendung kann der Gesundheit mehr schaden als nützen. Ein Beispiel: Intensiv-heisse oder intensiv-kalte Anwendungen sowie hautreizende Kompressen (Meerrettich) sollten weder bei alten Menschen noch bei kleinen Kindern oder Säuglingen angewendet werden. Gut informiert, sind die Anwendungen jedoch keine Hexerei.

Wickel versus Kompresse

Wickel und Kompressen unterscheiden sich durch verschiedene Komponenten: Ein Wickel besteht aus einem oder mehreren Tüchern, die um ein Körperteil (Fuss, Bein, Arm) gewickelt werden. Zur Wirkung gelangen Zusatzstoffe und oder die Temperaturreize kalt, temperiert oder heiss. Das innerste Tuch ist Träger der Wirksubstanz und wird mit einer Wickellösung getränkt.

Ein Umschlag hingegen enthält keine Flüssigkeit, sondern einen Brei oder eine Paste aus Leinsamen oder Heilerde. Die Kompresse, auch Auflage genannt, wird auf eine bestimmte Köperpartie (Bauch, Brust) gelegt und manchmal mit einem Tape fixiert. Entsprechend der Auflagestelle erhält die Kompresse ihren Namen (Brustkompresse). Die (kalte, temperierte, heisse) Kompresse ist Substanzträger. Sie kann mit einer Wickellösung getränkt sein, oder der entsprechende Zusatz (Leinsamen oder Quark) wird darin eingepackt. Ein weiteres Tuch schliesst die Kompresse ab.

Naturfasern hui, Synthetik pfui

Als Wickelmaterial kommen unterschiedliche Tücher wie etwa Waschlappen, Küchenhandtücher, Leggins, Strumpfhosen, Moltontücher, Windeleinlagen oder Windeln in Frage. Wichtig ist, dass die Stoffe aus Naturfasern wie Baumwolle, Leinen, Seide oder Wolle hergestellt sind.

Spannend: Leinen nimmt bis zu 35 Prozent Feuchtigkeit auf und gibt diese schnell der Umgebung ab. Sie wirkt kühlend, ist antistatisch und schmutzabweisend. Baumwolle hingegen kann bis zu 65 Prozent des Eigengewichts an Wasser aufnehmen. Der nasse Baumwollstoff trocknet sehr langsam und gibt die Wärme optimal ab und ist hautfreundlich.

Wolle besteht zu etwa 85 Prozent aus Luft und zeigt ein gutes Wärmehaltvermögen sowie natürliche Thermoregulationseigenschaften. Die Fasern können bis zu 33 Prozent ihres Trockengewichts aufnehmen, ohne dass sie sich feucht anfühlen. Wolle leitet zudem die Feuchtigkeit schneller ab als Baumwolle.

Kartoffel, Ingwer, Quark und Co.

Die Wirkstoffe, die als Wickelzusätze in Frage kommen, sind zahlreich und richten sich nach der Indikation. Neben ätherischen Ölen, Tinkturen, Hydrolaten, Extrakten oder Kräuter-Ölauszügen, kommen auch Algenpulver, Heilerde, Bienenwachslappen oder Senfmehl in Frage. Letztere Zutat wurde übrigens vor der Entdeckung des Penicillins in Krankenhäusern als wirksame Therapie bei der Lungenentzündung eingesetzt.

Dann wären da noch die altbewährten Hausmittel, die wenig kosten und fast immer zu Hause vorrätig zu finden sind: Neben es getrockneten Heilpflanzen wie Kamille, Lavendel oder Thymian, kommen auch Nahrungsmittel oder Gewürze wie Essig, Ingwer, Kartoffeln, Kohl, Meerrettich, Meersalz, Olivenöl, Quark, Weizenkleie, Zitronen oder Zwiebeln für Wickel und Kompressen in Frage.

Die meisten Wickelzusätze mögen im Essen besser schmecken als auf der Haut. Doch die Wirkung ist ein überraschendes und wohltuendes Erlebnis. So kühlt eine feucht-kalte Zitronen-Pfefferminz-Kompresse heisse Köpfe und fördert gleichzeitig die Konzentration, während der trocken und feucht-kalte Kohlwickel Gelenkschmerzen lindert und Entzündungen hemmt. Schnell zubereitet ist auch die feucht-heisse Kartoffelkompresse, die bei Husten und Bronchitis (Hustenreiz, zäher Schleim) oder bei Muskelverspannungen im Schulter-, Nacken- und Rückenbereich Wirkung zeigt. Es lohnt sich also alleweil, bei leichteren Beschwerden über den Tellerrand zu schauen, und die Zutaten aus der Küche für einmal etwas anders anzuwenden.

Kinder: «Essigsöckli» richtig angewendet

Leider greifen viele Eltern bei ihren fiebrigen Kindern sofort zu chemischen Medikamenten. Das ist nicht immer nötig. Denn Fieber ist eine natürliche Reaktion des Körpers und hat eine wichtige Funktion: Es steigert die Stoffwechselaktivität und hilft dem Körper, Krankheitserreger zu bekämpfen.

Bei Kindern spricht man ab 38 Grad von «Fieber» und ab 39 Grad von «hohem Fieber». Kinder werden bei «hohem Fieber» oft unruhig und erschöpft, weshalb es sinnvoll sein kann, die Temperatur mit «Essigsöckli» zu senken.

Wichtig: Kinder sollten Bettruhe haben und auch nach der Anwendung noch eine halbe Stunde liegen bleiben. Die «Söckli» müssen gut anliegen, damit keine Verdunstungskälte entsteht. Bleiben Sie bei Ihrem Kind, damit Sie reagieren können, sollte es dem Kind unwohl werden. Bei Schüttelfrost, oder bei kalten Händen und Füssen keine Wickel anwenden.

Wickelmaterial

  • Leinen- oder Baumwolltücher, Baumwollschal geht auch
  • Woll- oder Baumwollsocken
  • 1 Frottiertuch
  • 2 EL Bio-Apfelessig
  • Leitungswasser handwarm

So wird gewickelt:

Schneiden Sie die Tücher in Streifen. Geben Sie 1 Liter handwarmes Wasser in eine Schüssel und rühren Sie den Bio-Apfelessig darunter.

Danach geben Sie die Baumwoll-Streifen in die Schüssel und wringen sie aus, sodass sie noch feucht sind. Wickeln Sie die nassen Tücher um die Füsse bis Mitte Unterschenkel, ziehen Sie die Baumwollsocken drüber und wickeln Sie das Frottiertuch um.

Lassen Sie die «Essigsöckli» etwa 10 bis 20 Minuten wirken. Danach machen Sie eine Pause von 30 bis 60 Minuten. Die Pause ist ein Muss, damit das Fieber nicht zu rasant gesenkt wird.

Wiederholen Sie den Vorgang noch ein Mal sollte das Fieber immer noch über 39 Grad sein.

Feuchte Wickel und ihre Schichten

Feuchte Wickel bestehen immer aus drei Lagen aus unterschiedlichen Stoffen:

Innentuch

Das Innentuch sollte aus Leinen oder Baumwolle sein. Es wird mit einer Wickellösung, zum Beispiel Kamillentee, getränkt und direkt auf die entsprechende Körperstelle gelegt oder gewickelt.

Der Wickelzusatz wie etwa Quark, Leinsamen oder Kartoffeln, wird mit einer Windeleinlage aus Viskosevlies zu einem Päckchen geformt. Dieses wird auf die entsprechende Stelle gelegt, mit dem Zwischentuch umwickelt und dem Aussentuch bedeckt.

Zwischentuch

Das Zwischentuch aus Baumwolle, Rohwolle, Leggins usw. wird auf oder um das Innentuch gelegt. Es dient zur Grobfixation oder nimmt Feuchtigkeit vom Innentuch auf. Weiter dient es als Wärmeisolation, zum Beispiel mit der Rohwolle.

Aussentuch

Das Aussentuch aus Baumwolle, Wolle, Frottiertuch usw. dient zur Wärmehaltung und zur Schlussfixation einer Anwendung.

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