Wenn Wickel Wunder wirken

Als sanfte Heilmethode begleiten Wickel die Menschheit seit jeher. Ihr Einsatzgebiet ist vielseitig, ebenso die Kombination mit Heilkräutern oder Lebensmitteln. Wickel wirken auf der körperlichen und seelischen Ebene.

Fabrice Müller

Wickel zu medizinischen Zwecken gibt es schon seit Urzeiten. Die Ursprünge und Anwendungen eines Wickels variieren je nach Region. Archäolog*innen stiessen auf Aufzeichnungen aus dem alten Ägypten, wo man schon mit Wickeln, Kompressen und Ölauflagen heilte. Dies waren, so Maya Thüler, Autorin des Buches «Wohltuende Wickel», die Ursprünge von Wickeln und Kompressen. «Die Anwendung der Wickel ist immer im Zusammenhang mit der Naturverbundenheit, den finanziellen Möglichkeiten und der Eigenverantwortung des Menschen zu sehen», erklärt Maya Thüler. Mangels Medikamente und Geld, um sich ärztliche Hilfe zu leisten, mussten sich die Menschen selbst helfen. Die Anwendung von Wasser und Kräutern spielte dabei eine wichtige Rolle. So galt zum Beispiel Kohl im Römischen Reich als «Arzt der Armen».

Von Priessnitz bis Kneipp

Mit der Entwicklung der modernen Wasser- bzw. Hydrotherapie im 18. und 19. Jahrhundert erhielten die Wickel neuen Schwung. Neben den Schweidnitzer Stadtärzten Hahn, Vater und Sohn, arbeitete Vincenz Priessnitz aus Schlesien mit der Heilwirkung von Wasser und Wickeln. Als Priessnitz von einem Fuhrwagen überfahren wurde, heilte er seine gebrochenen Rippen, indem er sie an einer Stuhllehne gerade bog. Zudem legte der junge Mann Wickel auf, die er zuvor in Bergwasser tauchte. Dadurch wurde er wieder gesund. Ebenfalls im 19. Jahrhundert entdeckte Sebastian Kneipp die Heilkraft des kalten Wassers. Er experimentierte mit Güssen, Bädern, Wickeln und Packungen. Kneipp kombinierte die Erfahrungen der Kräuterheilkunde mit der Anwendung von Wickeln und Kompressen. So wurden zum Beispiel Wickel mit Lehm, Quark, Heublumen und anderen Zusätzen von Kneipp weiterentwickelt und bekannt gemacht.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts brachte Rudolf Steiner mit der geisteswissenschaftlichen Sicht weitere Anwendungsmöglichkeiten der Wickel und Kompressen ins Spiel. Die rasante Entwicklung der Medizin führte im 21. Jahrhundert laut Maya Thüler allerdings dazu, dass viele Menschen ihre Eigenverantwortung bei kleinsten gesundheitlichen Störungen «allzuschnell» einem Medikament oder Arzt abgeben. Im Rahmen der Besinnung auf schonendere und natürlichere Behandlungsmethoden stossen Wickel in weiten Kreisen neuerdings wieder auf Interesse.

Schonende Heilmethode

Diesen Trend kann auch Marion Risler, Wickel- und Heilpflanzenfachfrau aus Berikon, bestätigen: «Auch wenn die Wickel heute nicht mehr so verbreitet sind wie vor hundert und mehr Jahren, erleben die Wickel wieder einen Aufschwung.» Vor allem bei jungen Müttern sei die Wickelmethode hoch im Kurs, weil sie – so Marion Risler – lernen wollen, ihren Kindern mit schonenden Heilmethoden zu helfen. Hier spielen die Wickel eine wichtige Rolle. Deshalb gibt die Wickel- und Heilpflanzenfachfrau regelmässig Kurse für Lai*innen und Profis aus dem Gesundheitsbereich. «Wickel faszinieren mich, weil sich mit wenigen Mitteln viel erreichen lässt», betont Marion Risler. Oft reichten einfache Zutaten in Kombination mit Berührungen, um die Selbstheilungskräfte zu aktivieren. In diesem Sinne seien Wickel eine Möglichkeit, gesundheitliche Störungen auf natürliche Weise zu lindern und sich auf gesunde Art zu erholen.

Wie und weshalb wirken Wickel?

Jeder Wickel beeinflusst die Durchblutung. Je nach Dauer und Technik entzieht er dem Körper Wärme, führt Wärme zu oder regt den Körper zu einer Durchblutungssteigerung an. Ob heiss oder kalt – alle Wickel verfügen über eine grosse Leitfähigkeit. Die Wärmewirkung auf tieferliegende Organe wird über nervös-reflektorische Bahnen erreicht. Denn jedes Organ ist via Rückenmark mit einem Nervengeflecht verbunden, das eine diesem Organ entsprechende Hautpartie versorgt. Auf diesem Weg kommt es zu einer Durchblutungssteigerung innerer Organe während eines heissen Wickels. Weil die Haut als Ausscheidungsorgan dient, wirken viele Wickel reinigend, indem sie die Ausscheidungsfunktion der Haut anregen.

Weiter haben Wickel einen beruhigenden, entspannenden Effekt. Sie setzen zum Beispiel bei verkrampften Muskeln den Muskeltonus herab; gleichzeitig vertieft sich dabei oft auch die Atmung. Zur Beruhigung trägt ferner das Aufmerksamwerden auf den eigenen Körper bei, denn die Klientin oder der Klient fixiert sich weniger auf den Schmerz, sondern nimmt vielmehr die Wärme, Kälte, den Reiz oder Geruch des Wickels wahr. Auf der seelischen Ebene vermittelt Wärme das Gefühl von Geborgenheit und Gesundheit. «Die mit dem Wickel verbundenen Berührungen wirken sich ebenfalls positiv auf die Seele aus. Schliesslich nimmt man sich bei Auflegen der Wickel Zeit für die Klientin oder den Klienten», sagt Marion Risler.

Vier Wickelarten

Wickel ist nicht gleich Wickel. Marion Risler empfiehlt, Bauwolltücher zu verwenden. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen vier Wickelarten.

  1. Beim temperierten Wickel wird mit der eigenen Körperwärme gearbeitet. Ein mit Bienenwachsplatten oder Zwiebeln und mit Rohwolle befüllter Wickel – beispielsweise bei Husten – fördert den Wärmeaustausch zwischen Wickel und Körperwärme.
  2. Die Temperatur von kalten Wickeln reicht von lauwarm bis eiskalt. Kalte Wickel werden meist bei Sportverletzungen, Schwellungen oder Entzündungen eingesetzt.
  3. Warme oder heisse Wickel wirken sehr tief. Sie öffnen zum Beispiel die Bronchien und Gefässe, lindern Bauchschmerzen, helfen bei Menstruationsbeschwerden und regen den Stoffwechsel an.
  4. Hautreizende Wickel werden häufig mit Senf, Ingwer oder Meerrettich angewendet. Sie sollen kurze, intensive Reize auf der Haut auslösen und die Hautdurchblutung fördern – etwa bei Bronchitis oder Blasenentzündungen.

Von Leinsamen bis Quark

Die Substanz, mit der ein Wickel aufgelegt wird, trägt wesentlich zum Heilprozess bei. Als Wickelzusätze werden feste Substanzen wie zum Beispiel Leinsamen, Zitronen, Heilkräuter, Kartoffeln oder Zwiebeln, aber auch Flüssigkeiten wie Arnikaessenzen, Stiefmütterchentee, Quark oder Tinkturen verwendet. Grundsätzlich eigenen sich laut Marion Risler fast alle Heilfplanzen als Wickelzusätze. Je nach Pflanze können die frischen Blätter direkt auf die Haut gelegt und befestigt werden – zum Beispiel Kohl und Kabis. Getrocknete Heilpflanzen wie Kamille oder Lavendel werden in ein kleines Kissen gegeben und trocken erwärmt. Je natürlicher eine Pflanze gewachsen ist, als umso heilkräftiger gilt sie.

Die Wirkung des Wickels braucht Zeit, betont Marion Risler. Ein Wickel bleibt so lange aufgelegt, bis er seinen Zweck erfüllt hat. Die Dauer der verschiedenen Wickel ist somit, je nach gewünschter Wirkung, sehr unterschiedlich. Manche Wickel werden während mehrerer Stunden am Körper getragen. «Gewisse Leiden wie zum Beispiel Gelenkschmerzen haben ebenfalls einen längeren Entstehungsprozess hinter sich. Deshalb braucht es Zeit, bis die Heilung eintrifft», gibt die Wickelfachfrau zu bedenken.

Von Fieber bis Verspannungen

Was kann mit Wickeln behandelt werden? Wickel lindern Schmerzen und andere unangenehme Krankheitszeichen wie Fieber, Unruhe, Verspannungen usw. Zu den weiteren Symptomen, bei denen Wickel eingesetzt werden können, gehören unter anderem Kopfschmerzen und Migräne, Nacken- und Rückenverspannungen, Bauchweh und Durchfall, Schlafstörungen, Rheuma, Arthrose, Husten und Bronchitis, Halsweh, Angina, Asthma sowie Lungenerkrankungen.

Die sogenannten Priessnitz-Wickel, bei denen mit der Kraft des kalten Wassers gearbeitet wird, kommen etwa bei Tennisellenbogen, Schleimbeutelentzündungen und Sehnenscheidenentzündungen zum Einsatz. Wie Marion Risler betont, bedürfen starke akute und sich wiederholende Schmerzen sowie langdauernde, chronische Krankheiten immer einer ärztlichen Behandlung. Wickel können jedoch auch hier als Ergänzung der therapeutischen Massnahmen eingesetzt werden.

Auf die Reaktionen achten

Auch wenn es sich bei Wickeln um eine sanfte, natürliche Heilmethode handelt, kann es auch hier zu Nebenwirkungen kommen, wie Marion Risler erklärt. Bei Bluthochdruck, Herzinsuffizienz oder Hautreizungen beispielsweise sollte nicht mit heissen Wickeln gearbeitet werden. Ansonsten empfiehlt Marion Risler, die kranke Person während des Wickels zu beobachten und auf Reaktionen zu achten. Dies können körperliche Reaktionen wie auch Gefühle sein, die während eines Wickels hochkommen. Auch sie sind Teil des Heilungsprozesses, den ein Wickel auslöst.

Wickelzutaten und ihre Heilwirkung

Lehm: bei Insektenstichen, Sehnenscheidenentzündungen, Gelenkentzündungen, Halsweh, Verstauchungen, unreiner, fettiger Haut, Furunkel, Nasennebenhöhlenentzündungen

Quark: bei Reizhusten, Bronchitis und chronischen Gelenkentzündungen

Johanniskraut: bei Schürfungen, Sonnenbrand, Muskelverspannungen, Rückenschmerzen, Husten

Kamille: bei Ohrenschmerzen, Stimm- und Kieferhöhlenentzündungen, Zahnschmerzen, Mumps, zum Einschlafen

Bienenwachs: bei Husten, Bronchitis, als Erkältungsvorbeugung

Senf: bei Husten, Erkältung, Asthma, Lungenentzündung, Brustfellentzündung (nur im Einvernehmen mit der behandelten medizinischen Fachperson)

Ingwer: bei Nierenerkrankungen, Husten, Bronchitis

Zitrone: bei entzündetem Gewebe, Fieber, Ohrenschmerzen

Kohl: bei Ohrenschmerzen, Halsentzündungen, Fieber, Gelenkschmerzen, Gicht, Narben, Insektenstichen, Krampfadern

Bockshornklee: bei Entzündungen Stiefmütterchen: bei Hautkrankheiten, Ekzemen

Augentrost: bei Lidrandentzündungen, Ermüdungserscheinungen der Augen, verklebten Augen, Heuschnupfen, Bindehautentzündung

Quelle: Maya Thüler, «Wohltuende Wickel»

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