Wenn der Knorpel verpufft
90 Prozent der über 65-Jährigen leiden an Arthrose. Doch auch jüngere Menschen sind vom Abbau von Gelenkknorpel betroffen. Die Ursachen reichen von Überbelastung, Vererbung bis zu Übergewicht. Eine Behandlung muss nicht zwingend den Einbau eines neuen Gelenkes bedeuten.
Fabrice Müller
Bei einem Skiunfall vor 23 Jahren riss das vordere Kreuzband von Lara. Obwohl das Knie korrekt operiert wurde, wie ihr behandelnder Orthopäde, Dr. med Daniel Wüst aus Zürich, berichtet, machen sich nun zunehmende, belastungsabhängige Schmerzen am betroffenen Knie bemerkbar. Diagnose: eine «mässige» Arthrose am Knie. «Mit Einnahme von natürlichen Knorpeltabletten, einer Gewichtsreduktion um sechs Kilo, einer Serie Physiotherapie sowie einer Spritze mit Kortison und Hyaluron konnten die Beschwerden gut reduziert werden», schildert Daniel Wüst, der sich auf Arthrose spezialisiert hat.
«Unter einer Arthrose versteht man den langsam fortschreitenden Abbau von Gelenkknorpel.»
Laut der Rheumaliga ist Arthrose die am weitesten verbreitete Gelenkerkrankung. 90 Prozent der über 65-Jährigen leiden demnach an einer mehr oder minder fortgeschrittenen Arthrose. Geschätzt eine halbe Million Patient*innen in der Schweiz werden gegen Arthrose behandelt. Sind Jüngere von einer Arthrose betroffen, dann meist wegen starken Übergewichts. In der Praxis von Daniel Wüst bewege sich die Altersspanne der Patientinnen und Patienten zwischen 50 und 85 Jahren.
Elastischer Puffer
Unter einer Arthrose versteht man den langsam fortschreitenden Abbau von Gelenkknorpel. Als bewegliche Verbindung zweier oder auch mehrerer Knochen sind die Gelenke zum Gelenkspalt hin mit einer dünnen Schicht aus Knorpel überzogen. Beim Knorpel handelt es sich um ein glattes, gefässloses Gewebe, das an vielen Stellen des Körpers vorkommt – zum Beispiel an den Gelenken, an den Bandscheiben oder Menisken im Kniegelenk. Je nach Anforderung ist das Knorpelgewebe unterschiedlich zusammengesetzt.
Chemisch bestehen Knorpel aus Eiweissen und Kohlenhydraten und haben eine gelartige Festigkeit. Beim gesunden Gelenk bilden Knorpel einen elastischen Puffer mit einer gut geschmierten, spiegelglatten Oberfläche. Leidet jemand unter Arthrose, reichen die Schädigungen des Knorpels bis zu seiner kompletten Zerstörung. Als Folge davon reibt Knochen auf Knochen. Die Arthrose kann Gelenkschmerzen verursachen und die Beweglichkeit stark einschränken, wie Daniel Wüst informiert.
Die Kniegelenke sind neben den Hüftgelenken am häufigsten von Arthrose betroffen. Bei gewissen Berufen – etwa den Bodenlegern, früher aufgrund der stehenden Arbeitsweise auch bei den Lokomotivführern – handelt es sich geradezu um eine Berufskrankheit.
Schleichend und zu Beginn schmerzlos
Häufig erstreckt sich eine Arthrose über Jahrzehnte und beginnt schleichend, das heisst ohne Schmerzsignale. Trotzdem weisen die Knorpel erste Schädigungen auf. Weil der Knorpel jedoch nicht mit dem Nervensystem verbunden ist, sind diese Schädigungen zu Beginn in der Regel nicht schmerzhaft. Das heisst: Unfälle beispielsweise aus der Jugendzeit haben vielleicht einen Knorpeldefekt verursacht, sind jedoch erst viel später der Auslöser für die Entwicklung einer Arthrose. Die Medizin spricht bei solchen Fällen von einer «stummen Arthrose».
Anlauf- und Entzündungsschmerz
Meistens kündigt sich eine beginnende Arthrose mit Anlaufschmerz am Morgen, mit Ermüdungsschmerz etwa nach längerem Stehen oder mit Belastungsschmerz nach dem Wandern oder Laufen an. Häufig ist ein von Arthrose betroffenes Gelenk steif, besonders nach einer Ruhephase. Will man sich zum Beispiel nach längerem, unbeweglichem Sitzen erheben, kann das betroffene Knie streiken. Durch Bewegung verschwindet diese Start- oder Anlaufsteifheit wieder. Ist die Arthrose bereits fortgeschritten, entwickelt sich ein Dauerschmerz in Bewegungs- und in Ruhephasen. Meistens beschränken sich Arthroseschmerzen auf das betroffene Gelenk. Ausnahme: Bei einer Hüftarthrose kann es zu Schmerzen in der Leiste kommen, die sich bis ins Gesäss oder in die Knie ausbreiten.
Welche Arten von Arthrose gibt es?
Grundsätzlich können alle Gelenke von Arthrose betroffen sein. «Sehr häufig anzutreffen sind bei mir in der Praxis Knie- und Hüftarthrose. Etwas weniger verbreitet ist eine Arthrose des Grosszehengrundgelenkes», berichtet Daniel Wüst. Bei den nicht tragenden Gelenken seien vor allem die Fingergelenke betroffen. Unterschiede gibt es bei den Geschlechtern: Frauen leiden etwas häufiger unter Arthrose als Männer. Besonders bei der Fingergelenkarthrose sind Frauen sogar wesentlich oft betroffen als Männer. Wie wissenschaftliche epidemiologische Erhebungen ergeben haben, treten rund 80 Prozent der Fingergelenkarthrosen bei Frauen auf. Nicht selten macht sich die Arthrose gleich an mehreren Gelenken bemerkbar. Folglich kann ein Patient mit Kniearthrose gleichzeitig auch an Fingergelenkarthrose leiden.
Von Überbelastung bis Vererbung
Die Ursachen von Arthrose sind vielfältig, wie Daniel Wüst erklärt. Bei Menschen, die schon früh im Alter von 40 oder 50 Jahren eine Arthrose entwickeln, wird von einer familiären Vererbung ausgegangen. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand unter Arthrose leidet, wenn bereits die Eltern oder Grosseltern davon betroffen waren, ist gemäss wissenschaftlichen Angaben relativ hoch. Dabei könne die genetische Komponente im menschlichen Erbmaterial nicht beeinflusst werden.
Wird ein Gelenk aus beruflichen Gründen überbelastet – beispielsweise das Knie bei Bodenlegern – lässt sich eine Arthrose oft ebenfalls bereits in jüngeren Jahren feststellen. Der ständige Druck auf gelenknahe Strukturen führt zu Entzündungen und einer frühzeitigen Entwicklung beispielsweise einer Kniearthrose. Altersunabhängig sind weiter Arthrosebeschwerden als Folge von Sportunfällen. Nach Sportunfällen können Knorpeldefekte die Entwicklung einer frühzeitigen Arthrose begünstigen.
Übergewicht als Risikofaktor
Wie Daniel Wüst erklärt, ist Übergewicht ein weiterer Risikofaktor für Arthrose. Wer zu viele Pfunde auf die Waage bringt, setzt insbesondere die tragenden Gelenke unter Druck, vor allem die Knie- und Hüftgelenke, aber auch die gesamte Wirbelsäule. Durch die Dauerlast verliert der Knorpel in den Gelenken seine natürlichen dämpfenden Eigenschaften und verschmälert sich. Studien belegen, dass bereits eine Gewichtsreduktion von etwa fünf Prozent ausreicht, um den Arthroseschmerz um bis zu 20 Prozent zu verringern. Zwar lasse sich die Arthrose mit einer Gewichtskontrolle nicht verhindern, aber zumindest deutlich verzögern. Neben der mechanischen Überbelastung der tragenden Gelenke birgt die Fettleibigkeit noch eine weitere Gefahr: Im Fettgewebe können sich Hormone und verschiedene Entzündungsmediatoren bilden. Dies verstärkt bestehende Entzündungsprozesse im Körper.
Wie wird eine Arthrose diagnostiziert?
Im Rahmen einer körperlichen Untersuchung kann die Ärztin oder der Arzt zum Schluss kommen, dass die Beschwerden nicht mit anderen Erkrankungen in Verbindung stehen. Mit Hilfe von Röntgenaufnahmen werden der Schweregrad und die Ausprägung der Arthrose sichtbar. Zudem geben die Röntgenbilder Aufschluss über den Gelenkspalt und zeigen Veränderungen an den Knochen. Nach einer Arthrosediagnose stehen den Betroffenen verschiedene Behandlungsoptionen zur Auswahl. «Die Wahl der Behandlung hängt stark davon ab, wie stark eine Person von Arthrose betroffen ist und welche Einschränkungen damit verbunden sind», sagt Daniel Wüst. Grundsätzlich gelte die Arthrose als unheilbar. Jedoch könne eine Behandlung die Schmerzen und Entzündungen hemmen und gleichzeitig die Beweglichkeit des betroffenen Gelenkes bewahren. Umstritten ist, ob sich Knorpelschäden durch knorpelaufbauende Substanzen rückgängig machen lassen und wie weit eine solche Regeneration von Knorpelzellen gehen kann. Einig ist man sich in der Medizin hingegen, dass man dem Abbau von Gelenkknorpel entgegenwirken sollte.
« Eine gesunde, ausgewogene Ernährung sowie regelmässige Bewegung helfen, das Risiko für Arthrose zu senken.»
Vielseitiges Behandlungsspektrum
Laut Daniel Wüst reichen die Behandlungsarten von wenig invasiven bis zu invasiven Massnahmen. Als wenig invasiv gelten natürliche Behandlungsformen wie Fischknorpelprodukte, das lokale Spritzen ins Gelenk, Physiotherapie, Osteopathie sowie ein Mix aus Medikamenten. Sind die Gelenke gereizt, werden nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) verschrieben. Sie hemmen die Entzündung und den Schmerz, können aber auch den Magen und den Darm angreifen.
Bei einer starken Reizung helfen Arzneimittel mit Kortison, die direkt ins Gelenk gespritzt werden. Der Einsatz von körpereigenen Knorpelschutzsubstanzen wie Chondroitinsulfat bietet neue Behandlungsperspektiven, indem es den Knorpel gegen Druck und Belastungen widerstandsfähiger macht. Schmerzlinderung versprechen ferner Präparate mit Hyaluronsäure, einem weiteren körpereigenen Stoff. Die Hyaluronsäure ist Hauptbestandteil der Gelenkflüssigkeit und sorgt als Schmiermittel für eine reibungslose Gelenkbewegung. Als letzte Option, wenn die herkömmlichen Behandlungen nicht fruchten, nennt Daniel Wüst den operativen Eingriff. Allerdings bedeutet dies nicht zwingend den Einbau eines künstlichen Gelenks. Das Spektrum operativer Behandlungsmöglichkeiten ist weitaus breiter. Es reicht von gelenkerhaltenden Eingriffen über Teilprothesen bis zum Vollkunstgelenk.
Bewegung und Ernährung
Um Arthrose vorzubeugen, empfiehlt Daniel Wüst bei Übergewicht eine Gewichtsreduktion. Weiter helfen eine gesunde, ausgewogene Ernährung sowie regelmässige Bewegung, die Arthrosegefahr zu reduzieren. «Sporteinsteigerinnen und -einsteiger sollten allerdings langsam mit dem Training beginnen, um eine Überbelastung der Gelenke oder gar Unfälle zu vermeiden», betont Daniel Wüst. Insbesondere Schläge können den Gelenkknorpel schädigen und eine Arthrose begünstigen.
www.orthopaedie-wuest.ch
www.rheumaliga.ch