Unsere Leber im Dauerstress
Unsere moderne Lebensweise – geprägt von Stress, ungesunder Ernährung, Medikamenten und Genussmitteln – belastet die Leber enorm. Still und tapfer erträgt sie tagtäglich, was ihr zugemutet wird. Sie schätzt es, wenn wir ihr zwischendurch ein wenig Sorge tragen.
Laura Columberg
Die Leber befindet sich bei vielen Menschen im Dauerstress – das späte und schwere Abendessen mit reichlich Fett, Zucker und Alkohol, ungesunde Zwischenmahlzeiten, Süssgetränke und ständige Naschereien setzen ihr zu. Fertiggerichte, die nur schnell in der Mikrowelle erwärmt werden, oder dauerhafte Medikamenteneinnahmen fordern sie genauso heraus wie Schlafmangel, Alltagsstress, Streitigkeiten und Ärger.
Viel zu selten schenken wir diesem wichtigen Organ unsere Aufmerksamkeit, wertschätzen ihre stillen Arbeiten oder entlasten die Entgiftungsleistung. Warum schenken wir der Leber so wenig Beachtung? Ein Grund liegt darin, dass die Leber keine Schmerzrezeptoren besitzt. Dies bedeutet, dass sie keine Schmerzen empfindet, selbst wenn ihre Strukturen geschädigt sind oder sie an einer Funktionsüberlastung leidet. Für Menschen ist Schmerz einer der wichtigsten Hinweise darauf, ob etwas in unserem Körper nicht in Ordnung ist. Bei der Leber entfällt dieses Warnsignal. Sie spricht in einer subtilen, beinahe unscheinbaren Sprache mit uns, die leider im Rummel des Alltags untergeht.
Aufgaben der Leber
Die Leber als wichtigstes Stoffwechselorgan übernimmt eine Vielzahl an lebenswichtigen Funktionen. Sie unterstützt die Blutreinigung, kurbelt die Fettverdauung an, baut Giftstoffe und Pestizide aus Umwelt und Nahrung ab und übernimmt eine zentrale Rolle bei der Regulierung des Blutzuckerspiegels. Zudem gewährleistet das Organ die Aufnahme und Speicherung von zahlreichen Nährstoffen. Die fünf wichtigsten Aufgaben der Leber sind folgende:
1. Entgiftung: Medikamente, Alkohol, Umweltgifte und Stoffwechselendprodukte werden aus Blut gefiltert, in unschädliche Stoffe umgewandelt und über Nieren ausgeschieden.
2. Stoffwechselregulation: Speicherung und/oder Bildung von Glukose – in Form von Glykogen, einem Vielfachzucker – aus Nahrung. Abgabe bei Bedarf an Blut, um Blutzuckerspiegel zu regulieren und zu stabilisieren.
3. Produktion von Proteinen: Bildung von lebenswichtigen Eiweissen wie Albumin. Dient der Aufrechterhaltung unserer Gesamtblutmenge. Aber auch Gerinnungsfaktoren – stoppen bei Verletzung Blutung – werden durch Leber gebildet.
4. Speicherung von Nährstoffen wie Glykogen, fettlösliche Vitamine wie A, D, E und K und Mineralstoffe wie Eisen und Kupfer.
5. Produktion von Gallensaft: Galle dient der Verdauung und Aufnahme von Fetten aus Nahrung. Kontinuierliche Bildung von Galle. Speicherung in der Gallenblase und Abgabe an Dünndarm bei jedem Verdauungsvorgang.
6. Regulation des Hormonhaushalts: Beeinflussung des Hormonhaushalts durch Abbau und Regulierung verschiedener Hormone wie Insulin, Schilddrüsenhormone und Geschlechtshormone. Meist Mitfaktor für hormonelle Beschwerden.
Zudem ist sie das einzige Organ des menschlichen Körpers, das die Fähigkeit besitzt, sich selbst zu regenerieren. Bei einer Lebertransplantation wird nur ein Teil der Spenderleber entnommen. Das Lebergewebe beider Teile – sowohl beim Spender wie auch beim Empfänger – kann sich regenerieren und nachwachsen und ist meist innerhalb weniger Monate wieder voll funktionsfähig. Wissen Sie eigentlich, wo sich die Leber befindet? Sie liegt im rechten oberen Bauchraum, geschützt durch die Rippenbögen, unterhalb des Zwerchfells und erstreckt sich teilweise in die linke Bauchhälfte. Einfacher ausgedrückt – wenn Sie Ihre geöffnete Hand unter die rechte Brust legen haben Sie die Leber gefunden. Mit einer Grösse von 20 cm Länge, 15 cm Höhe und 10 cm Breite ist sie das grösste innere Organ des Menschen.
Der Schmerz der Leber ist die Müdigkeit
Die erwähnte Vielzahl der Leberaufgaben sowie Belastungen durch unsere moderne Lebensweise führen zu einer Verminderung der Leberenergie und die Entgiftungsleistung nimmt ab. Auch Lebererkrankungen wie eine Fettleber, Leberverhärtungen und -schrumpfungen sowie eine Leberentzündung können entstehen. Erste subtile Vorboten einer Leberüberlastung zeigen sich manchmal mit starker Müdigkeit und Erschöpfung. Diese Beobachtungen führten in der Naturheilkunde zum Spruch «der Schmerz der Leber ist die Müdigkeit». Diese Mattigkeit weist auf die verminderte Regenerationsfähigkeit von Körper, Geist und Seele hin. Weitere Beschwerden einer Leberüberlastung sind Verdauungsprobleme wie Übelkeit, Völlegefühl und Blähungen. Ebenso verringerte Alkoholtoleranz, Kopfschmerzen im Stirnbereich, schuppige Ekzeme oder Schmerzen in der rechten Schulter sowie Durchschlafstörungen mit konstantem Erwachen – in der aktiven Leberzeit – zwischen ein und drei Uhr nachts. In dieser Zeit ist der Lebermeridian am aktivsten. Das heisst, dass die Leber dann auf Hochtouren daran arbeitet, den Körper zu entgiften. Häufiges Erwachen in dieser Zeitspanne weist auf die Überforderung der Leber hin. Sie kommt mit Entgiften nicht nach, weil sie damit beschäftigt ist, das viel zu schwere Abendessen zu verdauen oder unverarbeitete Emotionen zu verarbeiten.
Mariendistel (Silybum marianum).
Auch plötzliche Heisshunger-Attacken auf Süsses oder Salziges können oft der Leber zugeordnet werden. Sie fordert aufgrund ihrer Dysbalance paradoxerweise genau das ein, was ihr im Übermass nicht guttut. Nicht selten fühlen sich Menschen mit einer Leberüberlastung konstant überreizt. Die Stimmung ist muffig und übellaunig und durch Kleinigkeiten werden sie wütend oder aggressiv. Die Liste möglicher Befindlichkeitsstörungen ist lang und nicht immer ist der Verursacher auch wirklich die Leber. Suchen Sie bei Unwohlsein oder körperlichen Beschwerden eine Fachperson auf und lassen Sie sich umfassend beraten.
Naturheilkundliche Hilfe für die Leber
Die Naturheilkunde wertet die Leber als zentrales Organ unserer Gesundheit und kennt einige Heilpflanzen und Methoden, die unsere Leber entlasten und in ihrer Funktionsfähigkeit unterstützen. Besonders dann, wenn jemand täglich Medikamente einnehmen muss, sich einer Operation unterziehen musste, viel Alltagsstress ausgesetzt ist oder mit wenig Schlaf auskommen muss. Aber auch – als Auszeit für die Leber – im Frühling und Herbst zur allgemeinen Leberpflege. Wann haben Sie zuletzt Ihre Leber entlastet und die Entgiftungsleistung angekurbelt?
Da die Leber eigene Bitterstoffrezeptoren besitzt, profitiert sie von der aktivierenden und regenerierenden Wirkung von Bitterstoffen aus der Nahrung. Achten Sie daher täglich auf eine pflanzenbasierte Ernährung mit vielen Bitterstoffen: Rucola, Endivie, Aubergine, Brokkoli, Chicorée, Kohlrabi, Radieschen, Mangold, Rosenkohl, Spinat und Chinakohl. Die Leber liebt Bitterstoffe! Bieten Sie ihr Vielfalt und Abwechslung. Neben der Ernährung, einem geringen Konsum von Alkohol und Genussmitteln, genügend Schlaf und einer guten Psychohygiene sind die Schafgarbe, die Mariendistel und die Artischocke drei starke Leberpflanzen:
Als milde Bitterstoffpflanze eignet sich die Schafgarbe (Millefolium officinalis) für alle, die neu mit Bitterstoffen starten. Die enthaltenen Bitter- und Gerbstoffe sowie Flavonoide im Kraut der Schafgarbe lindern Verdauungsbeschwerden wie Völlegefühl, Übelkeit und Blähungen. Die Bitterwirkung entlastet die Entgiftungsfunktion der Leber und aktiviert die Stoffwechselfunktionen. Die Schafgarbe eignet sich als Tee. Übergiessen Sie das Kraut mit kochendem Wasser. Lassen Sie den Tee 5 bis 10 Minuten gedeckt ziehen und trinken Sie ihn nach dem Abendessen. Süssen Sie den Tee nicht! Ansonsten hebt sich die Wirkung der Bitterstoffe auf und Sie belasten die Leber bereits wieder mit Zucker. Falls der Tee zu bitter ist, einfach die Ziehdauer reduzieren. Hinweis: bei einer Korbblütler-Allergie spagyrische Form verwenden.
Schafgarbe (Millefolium officinalis).
Um die Regenerationsfähigkeit der Leberzellen unterstützen oder aktivieren zu können, kann man zur Mariendistel (Silybum marianum) greifen. Der enthaltene Bitterstoff Silymarin wirkt kräftigend und aktivierend auf die Leberzellen. Die Mariendistelfrüchte werden in Form von Kapsel, Tinktur oder Spagyrik im Handel angeboten. Eine weitere Verwendungsmöglichkeit stellt der Gebrauch des Mariendistelöls dar. Dieses kann in kalte Gerichte eingebaut werden und dient zusätzlich als Quelle an ungesättigten Fettsäuren.
Die dritte der wichtigsten Heilpflanzen für die Leber ist die Artischocke (Cynara scolymus). In ihren Blättern finden sich vor allem Bitterstoffe wie Cynarin und Kaffeesäure, welche die Produktion und Ausschüttung des Gallensaftes fördern. Dies kann zu einer verbesserten Fettverdauung führen und die Leber entlasten. Beschwerden im Bereich der Verdauung können gelindert und Blutfettwerte reguliert werden. Die Artischocken-Essliebhaber*innen unter Ihnen muss ich leider etwas enttäuschen – die Hauptwirkstoffe befinden sich in den Blättern der Pflanze und nicht im delikaten Herz-Blütenboden.
Eine Fachperson in der Naturheilpraxis, Drogerie oder Apotheke kann Ihnen die verschiedenen Einnahme- und Anwendungsmöglichkeiten der einzelnen Heilpflanzen zeigen. Falls Sie noch nie oder schon lange keine Bitterstoffe mehr eingenommen haben – starten Sie langsam und gewöhnen Sie sich erst an eine niedrige und sanfte Dosierung. Es sollte Ihnen nicht widerstehen. Und nicht vergessen: Die Bitterstoffwirkung beginnt im Mund. Darum bittere Teesorten nicht süssen und Bitterstoffe immer gut einspeicheln! Unsere Leber – Kraftwerk und Müllabfuhr in einem. Schenken Sie ihr mehr Beachtung im Alltag. Entlasten Sie Ihre Leber regelmässig und bauen Sie kleine Auszeiten für die Leber ein, wie zum Beispiel: alkoholfreie Wochen, Verzicht auf Zwischenmahlzeiten, ab und zu ein zuckerfreies Wochenende, einmal die Woche ein Leberwickel, eine Woche Basenfasten oder bewusster Konsum von Bitterstoffen. Die Leber wird es Ihnen danken.
Der Leberwickel
- Einige Tropfen Schafgarbentinktur mit Öl (Lavendel-, Johanniskraut- oder Olivenöl) in der Hand mischen und auf Leberhöhe auftragen.
- Ein feuchtes Leinen- oder Baumwolltuch und dann ein trockenes Tuch darüberlegen.
- Die Auflage mit einer Bettflasche abdecken und 20–30 Minuten einwirken lassen.
- Liegen und entspannen optimiert die Wirkung.
- Anwendungshäufigkeit: 1–3 x / Woche.
Quellen und Literaturtipps
Elvira Bierbach: Naturheilpraxis heute, Urban & Fischer in Elsevier Verlag, 6. Auflage 2019, ISBN 978-3-437-55222-9
Andreas Hammering: Gut, Besser, Bitter, Südwest Verlag, 1. Auflage 2016, ISBN 978-3-517-09459-5