Starke Werkzeuge für den Geist

Was wir denken, bestimmt unser Leben. Affirmationen, Mantras oder positives Denken können unsere Gedanken positiv beeinflussen. Es erfordert jedoch Geduld und stetes Bemühen.

Lioba Schneemann, Illustration: Sonja Berger

Kürzlich erschien diese Meldung im Zug: «85 Prozent der Sorgen, die sich Menschen machen, treten nie ein.» Das ist ja eigentlich gut. Nur, wie bringen wir es fertig, einfach etwas positiver zu denken? Ist Optimismus lernbar?

Durchaus. Denn wir sind keineswegs «Opfer» dieses irren Geistes, der sich gern verstrickt in Gedanken mit negativer Färbung. Wir können uns schulen und trainieren, bewusster zu werden und dann besser entscheiden zu können, wie und was wir denken wollen.

Stärkende Mantras

Menschen aller Kulturen haben schon vor Tausenden von Jahren Methoden entwickelt, um unsere Gedanken zu steuern und eine Beruhigung des Geistes zu bewirken. Das Wissen um die Wirkung von Worten sowie von Klängen und Rhythmen ist uralt. So haben die Inder*innen vor etwa 3500 Jahren die Wissenschaft der Mantras entwickelt. Mantras sind Silben oder Wortfolgen, die gesprochen, gesungen oder in Gedanken wiederholt werden und der Meditation und Erkenntnis dienen sollen. In den Jahrtausenden haben sich diverse Stile entwickelt wie das Mantra-Yoga aus dem Hinduismus oder der buddhistische Weg des Mantrayana. Ziele sind, den Geist zu sammeln und zu beruhigen, das Herz zu öffnen sowie die innere Balance zu fördern. Das bekannteste Mantra ist sicher das «OM», was sich aus den Vokalen A,O,U und M zusammensetzt. Der Klang bewirkt eine harmonische Schwingung im Körper, es zentriert und stellt innere Ruhe und Harmonie her.

Weitere hilfreiche Mantren, und im Alltag gut anwendbar, sind «Es ist wie es ist.» oder freundlich formulierte Wünsche wie «Mögen alle Lebewesen glücklich sein.». Die erste Botschaft kann uns unterstützen, den Drang nach dem Optimieren, Fixieren oder «Es-Anders-Haben-Wollen» zu identifizieren und Dinge, die unabänderlich sind, leichter zu akzeptieren, und sie leichter loszulassen. Das als Wunsch formulierte zweite Mantra hingegen fördert, regelmässig angewendet, das Mitgefühl für uns selbst, für andere sowie die Verbundenheit mit anderen und allen Lebenwesen auf der Erde.

Eine Überzeugung der indischen Kultur sei allerdings wichtig, um die Bedeutung von Mantras zu verstehen, schreibt die Yoga-Lehrerin Anna Trökes auf yogaeasy. de: «Bereits in den frühesten Texten Indiens wird darauf hingewiesen, dass nur jenes für uns Menschen eine Bedeutung bekommt, was wir mit einem Begriff bezeichnen können. Die Inder*innen sagen, dass wir mittels «nama», dem Benennen, überhaupt erst unsere Welt erschaffen – das heisst, dass jede Bezeichnung und damit jedes Wort Ausdruck einer bestimmten Vorstellung und Weltsicht ist. Demnach stellen wir also mit unseren Worten die ganze Welt unserer Erfahrungen dar, aber auch die Art und Weise, wie wir mit unseren Erfahrungen umgehen.»

Beruhigende Affirmation Affirmationen können uns beruhigen und positiv stimmen. Dabei handelt es sich um Glaubenssätze wie «Ich nehme mich an, so wie ich bin.» oder «Ich gebe jeden Tag mein Bestes.». Unser Denken, Fühlen und Handeln beeinflussen sich gegenseitig. Wenn ich nun meine Gedankenwelt mit positiven Sätzen beeinflusse, verändere ich meine Gefühle mir und anderen gegenüber, und mit der Zeit handle ich dementsprechend. So die Theorie … Ob derartige Sätze bei allen Menschen eine positive Veränderung bewirken, ist allerdings zweifelhaft. So ergab eine Studie aus England, dass Affirmationen nicht bei allen Menschen einen positiven Effekt zeigten. Für Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl können bestimmte Affirmationen sogar den gegenteiligen Effekt haben. Christine Seiger vom Psychologischen Institut der Universität Zürich fasst auf der Homepage des Fachbereiches die erwähnte Studie zusammen, die sich mit der Wirkung von positiven Selbstgesprächen befasste. Fazit: Gerade für Personen mit einem geringen Selbstwertgefühl – die Gruppe von Menschen, die solche Affirmationen am meisten benötigen – können solche Sätze keinen oder gar den gegenteiligen Effekt haben. Experimente mit dem Satz «Ich bin ein liebenswerter Mensch.», der oft von Ratgebern empfohlen wird, zeigten, dass diese Menschen sich dann noch schlechter fühlten. Ein Grund dafür sei, so die Forschenden, dass sich Menschen mit niedrigem Selbstwertgefühl sogleich Gegenbeweise einfallen lassen. Psycholog*innen raten als Gegenmittel, sich dann weiter zu fragen, ob der Satz stimmt als auch, inwieweit er nicht stimmt. Erst dieser weitere Schritt bewirkte schliesslich, dass diese sich besser fühlten.

Die Menschen mit einem guten Selbstwertgefühl, so die Studie, fühlten sich mit dem Satz «Ich bin ein liebenswerter Mensch.» aber auch nur geringfügig besser. Alles umsonst? So ist es nun auch nicht. Es zeigt einfach, dass die innere Arbeit mit Glaubenssätzen mehr Wissen darüber und Selbstreflexion bedarf. Einmal mehr zeigt sich, dass Vieles doch komplexer ist als wir es uns vorstellen.

Es ist darum empfehlenswert, sich die Methoden, die als einfach und wirkungsvoll dargestellt werden, kritisch zu hinterfragen und zu prüfen, ob das für einen selbst stimmt. Manchmal sind wir auch gut beraten, uns von einer Fachperson anleiten zu lassen. Und auch da gilt es, genau hinzuschauen, wer mit welchen Versprechungen etwas anbietet.

Optimismus lernen

Positives Denken soll ebenfalls hilfreich sein. Auch hier ist es ratsam, genauer zu prüfen, was darunter verstanden wird und als Heilsversprechen daherkommt. Natürlich ist ein gewisser Optimismus lernbar. Das Glas kann halb leer oder halb voll sein. Allerdings kann der Rat «Denke einfach positiv.» manchmal doch eher schaden als helfen. Es geht nämlich nicht darum, dass wir die als negativ empfundenen Gedanken, seien es schwierige Emotionen, Ängste und Sorgen aus unserem Leben verdammen oder ignorieren sollen. Alle Gefühle gehören zum Leben, und wir sind gefordert, zu lernen, auch diese unwillkommenen Gefühle wertzuschätzen und von ihnen zu lernen.

Positives Denken ist vor allem für Menschen mit grossen Ängsten nicht zu empfehlen. Manchmal sei «defensiver Pessimismus» hilfreicher, schreiben die USPsychologinnen Julie Norem und Nancy Cantor vom Wellesley College, Massachusetts. Sie raten dazu, bei der Konfrontation mit Schwierigkeiten, sich auf das Schlimmste vorzubereiten und gewappnet zu sein. Auf diese Weise lässt sich die Angst besser kontrollieren, weil die Erwartungen niedrig sind. Die Vorstellung aller möglichen Patzer kann überängstliche Menschen unterstützen, mit Unsicherheitsgefühlen besser klarzukommen.

Positives Denken könne, wie die US-amerikanische Psychologin Barbara Fredrickson zudem betont, zu positiven Gefühlen führen, aber nicht immer. Da alle Gefühle vergänglich sind, denn nichts ist von Dauer, garantiert ein positiv formulierter Satz auch nie anhaltende Freude. Das Problem ist, dass wir meistens versuchen, allzu sehr an etwas festzuhalten. Obwohl positive Gefühle vorübergehen, seien diese jedoch persönliche Ressourcen, die uns belastbarer machen und nachhaltig stärken. Wir können also alle Facetten des Fühlens anerkennen, und dann dieses Mantra anwenden: «Alles darf da sein.»

Vielversprechend klingt die «Best possible self»-Methode: Die Beschäftigung mit der bestmöglichsten Variante meines Selbst oder meiner Zukunft. Und das geht so: Man notiere 5 Minuten pro Tag sein bestmöglichstes zukünftiges Ich und die ideale Vorstellung seiner Zukunft. Fragen wie «Wie möchte ich sein? Wie verbringe ich meinen Tag? Wie fühle ich mich? Welche Menschen sind in meinem Leben?» können helfen, möglichst konkret die eigene Zukunft zu schaffen. Wichtig ist, sich ein positives Bild der Zukunft auszumalen. Mit Visionen spielen, Träumen – alles erwünscht. Der innere Kritiker darf ruhig sein, denn es ist nicht wichtig, ob dies auch eintreffen wird, sondern es geht darum, eine optimistische Sicht auf das eigene Leben zu bekommen. Die kalifornische Psychologie-Professorin Sonja Lyubomirsky hat diese Methode entwickelt und getestet. Die Proband*innen berichteten nach wenigen Wochen des Trainings, dass sie mehr positive Gefühle verspürten und weniger Schmerzen hätten.

Geduld und üben

Jede Methode, die uns hilft, optimistischer und mit einer positiveren Haltung durch das Leben zu gehen, ist nur dann wirkungsvoll, wenn wir bereit sind, regelmässig zu üben. Es erfordert Geduld, Einsatzbereitschaft und ein stetes Bemühen, um eingefahrene Denkmuster, Glaubenssätze und Gewohnheiten zu ändern. Es lohnt sich, zu entscheiden, ob wir öfter lächelnd oder mit heruntergezogenen Mundwinkeln herumlaufen. Zu 40 Prozent haben wir es selbst in der Hand, ob wir zufrieden sind oder nicht, sagen Glücksforscher*innen. Zudem ist Optimismus gesund. Optimist* innen leben nicht nur länger, weil sie sich besser um ihre Gesundheit kümmern, sondern sie entwickeln bessere Strategien gegen Stress und können ihre Emotionen besser regulieren.

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