Mythos Cholesterin
Der schlechte Ruf des Cholesterins lässt leider oft vergessen, wie lebensnotwendig dieser Grundbaustoff für unseren Körper ist. Er dient dem Aufbau der Zellmembranen, der Bildung von Gallensaft, Hormonen und Vitamin D. Doch seit Jahrzehnten wird Cholesterin als alleiniger Hauptfaktor für Arteriosklerose, Herzinfarkt, Schlaganfall und Übergewicht betitelt – eine irrtümliche Einschätzung?
Laura Columberg, Illustration: Sonja Berger
Die Frage nach dem Cholesterinspiegel scheint eines der meist diskutierten gesundheitlichen Themen zu sein. In der Schweiz werden jährlich über 1,6 Millionen cholesterinsenkende Medikamente verschrieben, wobei die Statine den grössten Anteil ausmachen. Die zahlreichen Nebenwirkungen der Medikamente sind wenig bekannt. Besonders Statine greifen enorm in unseren Stoffwechsel ein und führen zu Nebenwirkungen wie muskuläre Beschwerden, Leberfunktionserschöpfung, Kopfschmerzen und Magen-Darm-Beschwerden. Da sie die Blut-Hirn-Schranke überwinden und sich im Körper anlagern, stehen sie in Verdacht, Alzheimer auszulösen. Ein Medikament, das nur bei wirklicher Notwendigkeit eingenommen werden sollte.
Doch sind erhöhte Cholesterinwerte grundsätzlich schlecht und behandlungsbedürftig? Nein – nur sehr hohe Werte, die über einen längeren Zeitraum bestehen bleiben, von weiteren Risikofaktoren mitverstärkt werden und sich von naturheilkundlichen Massnahmen nicht beeinflussen lassen, sollten medikamentös behandelt werden. Personen, die genetisch bedingt seit Geburt stark erhöhte Cholesterinwerte aufweisen, werden medikamentös behandelt, da sie durch die Stoffwechselstörung zu vorzeitigen Herz-Kreislauf-Erkrankungen neigen.
Cholesterinwert nicht isoliert betrachten
Cholesterin ist eine fettähnliche Substanz, die im Blut an Transporteiweisse gebunden wird – sonst würde es wie Fett in der Suppe obenauf schwimmen. Genannt werden diese Eiweisse LDL, HDL und VLDL und zusammen als Gesamtcholesterin bezeichnet. Nach den aktuellen Richtlinien gilt ein Gesamtcholesterinwert von unter 200 mg/dl, beziehungsweise ein LDL-Wert unter 115 mg/dl sowie ein HDL-Wert über 40 mg/dl als günstig. Diese oberflächliche Anschauung lässt das Alter, Geschlecht, den übrigen Gesundheitszustand des Menschen sowie die aktuelle Lebenssituation völlig ausser Acht. Denn nach Infektionen, Unfällen, Operationen oder auch bei Dauerstress steigt die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol im Körper, für dessen Bildung Cholesterin benötigt wird. Der Gesamtcholesterinwert steigt an. Im Alter nimmt der Wert ebenfalls zu. Dies hat mit Veränderungen in der Stoffwechselgeschwindigkeit aber auch mit Medikamenteneinnahmen zu tun. Und Frauen haben einen höheren Wert als Männer – verursacht durch das Hormon Östrogen.
Die alleinige Messung des Gesamtcholesterinwertes ist daher nicht aussagekräftig genug, um die Gefahr einer Herz-Kreislauf-Erkrankung beurteilen zu können. Stattdessen müssen weitere Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Rauchen, Alkohol, Stress und Übergewicht hinzugezogen werden. Für eine aussagekräftige Einschätzung sollten alle Blutfettwerte mehrfach überprüft werden: Gesamtcholesterin, HDL- und LDL-Cholesterin, Triglyceride und zusätzlich nach Möglichkeit der Wert des oxidativen LDL-Cholesterins.
«Der Gesamtcholesterinwert ist nicht aussagekräftig genug.»
Aufgaben von Cholesterin im Körper
Der Körper stellt in der Leber rund 70-80 % des Cholesterins selbst her. Aber auch in anderen Geweben wie den Darmzellen, Nebennieren und der Haut kann Cholesterin gebildet werden. Und das hat durchaus seinen Sinn, denn ohne Cholesterin könnten wir nicht leben:
1. Baustoff für Zellmembranen: Als Bestandteil jeder Zellmembran dient Cholesterin als Baustoff aller Zellen und Organe. Ausserdem benötigen unsere Zellen Cholesterin zur Kommunikation. Das Gehirn und unser Nervensystem enthalten besonders viel Cholesterin.
2. Ausgangsstoff für Hormone: Cholesterin ist Ausgangssubstanz für die Bildung der Steroidhormone, welche in den Nebennierenrinden und Geschlechtsdrüsen produziert werden. Dazu zählt das Stresshormon Kortisol, das zum Beispiel für die körpereigene Entzündungsregulation zuständig ist, aber auch die Sexualhormone Testosteron, Östrogen und Progesteron sowie das Mineralkortikoid Aldosteron, das den Blutdruck reguliert.
3. Bildung von Gallensäuren: Ein Teil des Cholesterins wandelt die Leber nach der Bildung in Gallensäuren um. Diese dienen der Fettverdauung und -aufnahme im Darm.
4. Vitamin-D-Bildung: Cholesterin ist die Grundsubstanz für das fettlösliche Vitamin D, das auf unseren Kalziumstoffwechsel einwirkt und für den Aufbau von Knochen und Gelenken sowie zur Immunstärkung notwendig ist. Ausserdem wirkt es als Sonnenvitamin stimmungsstabilisierend und lindert Müdigkeit.
Gesundheitliche Gefahr durch oxidiertes Cholesterin
Die eigentliche Gefahr für unsere Herzgesundheit besteht in der oxidierten Form des LDL-Cholesterins. Als Oxidation wird ein chemischer Prozess bezeichnet, bei dem ein Stoff ein Elektron verliert – meist durch Angriff freier Radikalen, die im Körper durch normale Stoffwechselprozesse, aber auch durch äussere Einflüsse wie UV-Strahlung, Umweltverschmutzung, Stress und Rauchen entstehen.
LDL-Cholesterin besteht zu etwa 50 % aus ungesättigten Fettsäuren. Diese sind besonders anfällig für Oxidationsprozesse. Ein oxidiertes LDL-Cholesterin-Molekül wird im Körper nicht mehr als körpereigen erkannt. Dies führt zur Aktivierung der Immunabwehr. Die Fresszellen versuchen das oxidierte LDL unschädlich zu machen und zu vertilgen – dabei wandeln sie sich in Schaumzellen um. Diese Schaumzellen können sich an der Innenhaut der Gefässwände absetzen und eine Entzündungskette auslösen. Langfristig gesehen kann dieser Prozess zu Arteriosklerose führen.
Natürlicher Cholesterin-Regelmechanismus
Unser Körper produziert nur so viel Cholesterin, wie er benötigt. Zusätzlich zur Eigenproduktion nehmen wir auch über die Nahrung Cholesterin auf. Meist aus tierischen Produkten wie Fleisch und Wurstwaren, Milchprodukten oder Eiern. Entgegen vieler Behauptungen führt dies aber nicht zu hohen Cholesterinwerten. Denn durch den natürlichen Regelmechanismus fährt der Körper die Cholesterinproduktion hoch oder runter. Es hilft also nicht, bei konstant erhöhten Werten alleinig auf eine cholesterinarme Ernährung zu setzen. Die Behandlung muss ganzheitlich ansetzen mit Verhaltensänderungen wie mehr Bewegung, dem Verzicht aufs Rauchen, Stressreduktion und dem gezielten Einsatz von Pflanzenpräparaten.
Naturheilkundliche Hilfe: Antioxidantien und gesunde Fette
Der naturheilkundliche Fokus liegt auf der Versorgung des Körpers mit ausreichend Antioxidantien über die Ernährung und Nahrungsergänzungsmittel, um die Oxidationsprozesse zu verhindern. Besonders gefässschützende Antioxidantien befinden sich als Catechine im Grünteekraut, als Reservatrol in Weintrauben und Rotwein, als Lycopin in der Tomate oder auch als Polyphenole im Granatapfel. Aber auch Heidelbeeren, Preiselbeeren, schwarze Johannisbeeren und Erdbeeren haben ein grosses antioxidatives Potenzial und können gut in die tägliche Ernährung eingebaut werden. Falls lieber zu einem Nahrungsergänzungsmittel gegriffen werden möchte, finden sich verschiedene Produkte unter dem Namen OPC auf dem Markt. Meist direkt angereichert mit den antioxidativen Vitaminen C und E. Eine Fachperson in der Naturheilpraxis, Drogerie oder Apotheke kann Ihnen die verschiedenen Produkte zeigen und Sie zur Einnahmehäufigkeit beraten.
«Nebst einer gesunden Ernährung gilt es, weitere Risikofaktoren zu meiden oder verringern.»
Eine Ernährung, die reich an ungesättigten Fettsäuren ist, kann nicht nur das LDL-Cholesterin und die Triglyceride senken, sondern wirkt sich auch entzündungshemmend auf den Körper aus. Bauen Sie Fisch und Ölsaaten in Ihren Ernährungsalltag ein. Besonders reich an Omega-3-Fettsäuren sind Walnüsse, Hanf- und Leinsamen. Letztere frisch schroten, damit das Öl zugänglich wird. Zur Ergänzung sind im Fachhandel hochdosierte Fertigprodukte aus Fisch- oder Algenöl erhältlich. Diese Produkte können bei erhöhten Cholesterinwerten als Kur über 6 bis 12 Monate eingenommen werden. Wirklich vermieden werden sollten die sogenannten Transfette. Diese entstehen durch industrielle Härtung von Pflanzenfetten oder wenn Öl sehr stark erhitzt wird, wie beim Frittieren. Transfette sind Kunstfette, die die Natur nicht vorgesehen hat. Sie haben daher im Körper keinen Nutzen, sondern können zu Ablagerungen in den Gefässen führen.
Mit Pflanzenkraft zum Erfolg
Einige Heilpflanzen können die Umwandlung von Cholesterin in Gallensäure fördern und senken so die Cholesterinwerte. Hierzu zählen hoch dosierte Artischocken- und fermentierte Knoblauchextrakte, Pektin aus Äpfeln aber auch Beta-Glucan aus Hafer und Gerste. Das Extrakt aus der Bergamotte senkt mithilfe der enthaltenen Flavonoide den Cholesterinspiegel nachweislich. Gerade in Kombination mit einer ballaststoffreichen Ernährung ist der therapeutische Erfolg sehr vielversprechend. Ballaststoffquellen wie Obst, Gemüse oder Akazienfasern enthalten einen hohen Anteil an Phytosterolen. Diese weisen eine ähnliche Struktur wie Cholesterin auf und bewirken eine Hemmung der Cholesterinrückresorption über den Darm. So wird überschüssiges Cholesterin mit dem Stuhl ausgeschieden.
Nebst einer gesunden Ernährung gilt es, weitere Risikofaktoren zu meiden oder zu verringern. An erster Stelle steht hier das Rauchen. Jede Zigarette erhöht Ihre Cholesterinwerte! Bauen Sie Stress lieber mit Entspannungstechniken wie Atemübungen, Yoga, Meditation oder Ausdauersport ab. Sie sehen, es gibt einige Ansätze, die versucht werden können, bevor Sie einen Cholesterinsenker einnehmen sollten. Seien Sie mutiger, kritischer und vertrauen Sie auch auf Ihr eigenes Gesundheitsempfinden. Wie fühlen Sie sich? Haben Sie weitere Risikofaktoren? Nicht jeder Cholesterinwert ist zwingend behandlungsbedürftig, sollte aber beobachtet und je nachdem sanft korrigiert werden. Lassen Sie sich von Fachpersonen aus der Naturheilpraxis begleiten, um Ihren individuellen und ganzheitlichen Weg finden zu können.
Literaturtipps und Quellen:
Dr. med. Volker Schmiedel: Cholesterin endlich Klartext, TRIAS Verlag in Georg Thieme Verlag KG, 4. Auflage 2020, ISBN 978-3-432-10490-4
www.spektrum.de: Cholesterin weniger böse als gedacht, 13.1.2022