Leben im Rhythmus der inneren Uhr

Unsere innere Uhr steuert Schlaf, Leistungsfähigkeit und Regeneration – doch Stress, unregelmässige Mahlzeiten und Schlafmangel bringen den Biorhythmus aus dem Gleichgewicht, was langfristig die Gesundheit beeinträchtigen kann.

Angela Bernetta 


U
nsere innere Uhr gibt den Takt vor: Sie steuert, wann wir wach und leistungsfähig sind, wann wir uns ausruhen sollten und wann unser Körper Energie für Regeneration braucht. Doch in einer Welt, die von Zeitdruck, ständiger Erreichbarkeit und festen Deadlines geprägt ist, geraten unsere natürlichen Rhythmen oft aus dem Gleichgewicht. Viele Menschen ignorieren ihre innere Uhr – sie arbeiten spät in die Nacht, verzichten auf Pausen und missachten die Signale ihres Körpers. Doch dieser Lebensstil fordert langfristig seinen Tribut: Erschöpfung, Schlafstörungen und chronische Krankheiten können die Folge sein.


Die innere Uhr bestimmt den Takt

«Der Biorhythmus reguliert zahlreiche Prozesse wie den Schlaf-Wach-Rhythmus, die Körpertemperatur, den Hormonspiegel und sogar die Verdauung», erklärt Philippe Marty, Heilpraktiker für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) und Dozent an der Heilpraktikerschule Luzern. Am bekanntesten ist der zirkadiane Rhythmus, ein 24-Stunden-Zyklus, der durch Licht und Dunkelheit beeinflusst wird. Zusätzlich gibt es kürzere oder längere Rhythmen, wie den ultradianen Rhythmus, der unsere Konzentrationsphasen im Tagesverlauf steuert (siehe Box). 

Jeder Mensch hat einen individuellen Biorhythmus: Manche sind morgens besonders produktiv, andere arbeiten besser in den Abendstunden. «In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) spielt die sogenannte Organuhr eine zentrale Rolle», erklärt Philippe Marty. «Sie beschreibt, wie die Lebensenergie Qi im Zwei-Stunden-Takt durch alle Organe fliesst. Jedes Organ hat dabei eine aktive Phase, die mit spezifischen Körperfunktionen zusammenhängt.»

Alle grossen Heilsysteme – von der westlichen Naturheilkunde über Ayurveda bis zur Schulmedizin – betonen die Vorteile eines Lebens im Einklang mit dem Biorhythmus. Wer seine innere Uhr kennt und berücksichtigt, kann nicht nur seine Energie und Leistungsfähigkeit steigern, sondern auch das Risiko für chronische Erkrankungen wie Diabetes, Depressionen oder Burn-out reduzieren. 


Ernährung im Einklang mit der inneren Uhr

Auch die Ernährung sollte sich an den natürlichen Bedürfnissen des Körpers orientieren. «Morgens und mittags arbeitet der Stoffwechsel auf Hochtouren – der Körper verwertet die Nahrung in dieser Zeit besonders gut. Abends hingegen fährt der Stoffwechsel herunter, weshalb leichte Mahlzeiten besser verträglich sind», erklärt Nadia Schwestermann, Ernährungsberaterin BSc BFH SVDE. «Wer seine Mahlzeiten innerhalb eines festgelegten Zeitfensters einnimmt – wie es beim Intervallfasten üblich ist, beispielsweise zwischen 8 und 18 Uhr –, unterstützt den natürlichen Biorhythmus und tut langfristig etwas Gutes für die Gesundheit.» Schwestermann empfiehlt ein ausgewogenes Frühstück mit komplexen Kohlenhydraten, Proteinen und frischem Obst – etwa ein Porridge mit Beeren und Nüssen – als ideale Grundlage für den Tag. Am Mittag versorgt eine bunte Kombination aus Gemüse, gesunden Fetten, Proteinen und Kohlenhydraten wie bei einem Gemüse-Curry mit Reis, den Körper optimal. Abends sollten die Portionen kleiner und leichter verdaulich sein, etwa ein Forellenfilet mit Brokkoli und Linsenteigwaren, um den Körper auf die nächtliche Regeneration vorzubereiten.


«Ein Leben im Einklang mit der inneren Uhr steigert Energie und schützt vor Krankheiten.»



Die Rolle von Schlaf und Pausen

Unregelmässiger Schlaf und das Übergehen von Hunger- und Müdigkeitssignalen können den Biorhythmus dauerhaft stören. Besonders Menschen mit unregelmässigen Arbeitszeiten, wie Schichtarbeitende, leiden unter den Folgen: Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Magenprobleme sind häufige Begleiterscheinungen. Schlaforscher und -forscherinnen betonen, dass die gesundheitlichen Auswirkungen eines Lebens gegen die innere Uhr ein zunehmend wichtiges Forschungsfeld sind.

Den eigenen Biorhythmus zu verstehen, ist der erste Schritt, um ihn im Alltag zu berücksichtigen. Ein Protokoll über mehrere Wochen, in dem Energie- und Konzentrationsphasen festgehalten werden, kann helfen, individuelle Muster zu erkennen. Auch Apps oder Fitness-Tracker, die Schlaf und Herzfrequenz messen, liefern wertvolle Hinweise. 

Mit diesem Wissen lassen sich anspruchsvolle Aufgaben gezielt in produktive Phasen legen: Morgenmenschen sollten komplexe Projekte früh am Tag angehen, während Nachtmenschen ihre Hochphase abends nutzen können. Pausen sind dabei keine verlorene Zeit, sondern notwendige Regenerationsphasen, um die Leistungsfähigkeit zu erhalten. Der Biorhythmus ist ein kraftvoller, aber oft unterschätzter Faktor für Gesundheit und Wohlbefinden. «Ein bewusster Umgang mit Schlaf, Mahlzeiten und Leistungskurven ist entscheidend, um den Körper besser zu verstehen», sagt Philippe Marty. Wer seinen Alltag an die natürlichen Rhythmen anpasst, kann nicht nur seine Energie und Konzentration steigern, sondern langfristig seine Gesundheit fördern.


Die wichtigsten Rhythmen

  • Zirkadianer Rhythmus (24-Stunden-Zyklus): Er steuert den Schlaf-Wach-Zyklus und wird durch Licht beeinflusst. Morgens signalisiert er unserem Körper, wach zu werden, während Dunkelheit uns müde macht.
  • Ultradianer Rhythmus (kürzere Zyklen): Er regelt unsere Konzentrationsphasen im Tagesverlauf – mal ist man voll fokussiert, mal braucht man eine Pause.
  • Infradianer Rhythmus (längere Zyklen): Dieser Rhythmus umfasst längere Zyklen, wie den Menstruationszyklus oder saisonale Veränderungen, die unsere Stimmung und Energie über Tage, Wochen oder Monate beeinflussen können.


Praktische Tipps für den Alltag 

  • Regelmässigkeit: Feste Zeiten für Schlaf und Mahlzeiten einhalten.
  • Tageslicht: Am Morgen und am Vormittag möglichst viel Zeit im Freien verbringen, um Tageslicht zu tanken.
  • Leistungsphasen: Morgenmenschen sollten anspruchsvolle Aufgaben in die produktiven Stunden des Vormittags legen, während Abendmenschen ihre Hochphasen am Abend nutzen können. Routinetätigkeiten lassen sich in weniger produktive Phasen schieben.
  • Pausen: Nach etwa 90 Minuten intensiver Arbeit eine kurze Pause einlegen.

 

 

«Wer täglich Yoga praktiziert, 
stärkt seine innere Balance»

Yoga und Meditation fördern das Bewusstsein, helfen, Stress abzubauen und bringen Körper und Geist durch regelmässige Praxis in Einklang mit den natürlichen Energiezyklen. Daniela Küng, Präsidentin des Schweizer Yogaverbands, erklärt im Gespräch, wie das gelingt.

Interview: Angela Bernetta

Daniela Küng, wie können Yoga und Meditation dabei helfen, den eigenen Biorhythmus besser zu verstehen und mit ihm im Einklang zu leben?
Yoga und Meditation helfen, mit sich selbst in Einklang zu kommen und körperliche sowie geistige Prozesse besser zu verstehen. Ein regelmässiger Tages- und Schlafrhythmus unterstützt den Biorhythmus – das gilt auch für die Yogapraxis. Wer täglich zur gleichen Zeit Yoga praktiziert und meditiert, stärkt seine innere Balance. Entscheidend ist dabei weniger die Technik als die Kontinuität einer passenden Methode.

Zu welchen Tageszeiten empfehlen Sie Yoga- und Meditationsübungen, um die natürlichen Energiezyklen des Körpers optimal zu unterstützen?
Yoga kann zu jeder Tageszeit aktivierend oder beruhigend wirken. Der frühe Morgen eignet sich besonders für Meditation, da die Welt noch still ist und wir die Ruhe der Nacht in uns tragen. Dynamische Yogasequenzen wie der Sonnengruss am Morgen fördern die Vitalität und bringen den Kreislauf in Schwung. Am Abend helfen länger gehaltene Asanas, wie Vorbeugen oder Umkehrhaltungen, zur Ruhe zu kommen und den Tag loszulassen. Besonders wirkungsvoll sind Atemtechniken, die das Nervensystem direkt beeinflussen. Während die Einatmung aktiviert, beruhigt eine verlängerte Ausatmung. Die Wechselatmung, Nadi Shodana genannt, wirkt ausgleichend und fördert das innere Gleichgewicht.

Welche Yoga- oder Meditationstechniken sind besonders geeignet, um während Energiehochs produktiv zu bleiben und in Tiefphasen zu regenerieren?
Während eines Energiehochs halte ich mich in Bewegung und vermeide einseitige Belastungen. Dehnübungen bringen neuen Schwung, während eine verlängerte Ausatmung durch tiefe Bauchatmung erdet und die Konzentration fördert. In Tiefphasen hilft bewusste Tiefentspannung, etwa in Savasana, einer Entspannungslage, oder Yoga Nidra, um Körper und Geist zu regenerieren – ohne dabei einzuschlafen. Atemachtsamkeit und gezielte Atemtechnik unterstützen sowohl unsere Leistungsfähigkeit als auch die Erholung.

Wie können Yoga und Meditation dazu beitragen, Stress zu reduzieren und einen gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus zu fördern?
Yoga umfasst Körper- und Atemübungen sowie Konzentrations- und Entspannungstechniken und wirkt ganzheitlich auf Körper und Geist. Studien belegen, dass Yoga Stress reduziert, den Schlaf verbessert und für mehr Energie am Morgen sorgt. Entscheidend ist die Regelmässigkeit: Schon eine wöchentliche Yogastunde kann positive Effekte haben, ideal sind jedoch tägliche kurze Übungseinheiten.

Wie lassen sich Yoga- und Meditationspraktiken individuell auf die persönlichen Biorhythmen abstimmen, und welche Rolle spielt dabei die Achtsamkeit?
Achtsamkeit ist das Herzstück von Yoga und Meditation. Durch die nach innen gerichtete Praxis stärken wir unsere Selbstwirksamkeit und lernen, welche Übungen uns guttun und folglich unseren Biorhythmus unterstützen. Die beste Grundlage dafür bietet eine fundierte Anleitung durch eine erfahrene Yogalehrkraft.

Weitere Informationen:
www.swissyoga.ch

 

 

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