Heilung und Selbsterkenntnis durch psychoaktive Substanzen

LSD, MDMA und Psilocybin galten lange als gefährlich, doch heute entdeckt die Wissenschaft ihr Potenzial als wirksame Mittel zur Behandlung von Depressionen, Abhängigkeitserkrankungen und Traumas neu. Die bisherigen Resultate aus laufenden Studien mit diesen psychoaktiven Substanzen sind mehr als nur vielversprechend und könnten dafür sorgen, dass sie bald als wertvolle Werkzeuge für Heilung, tiefenpsychologische Erkenntnisse und für spirituelle Erfahrungen anerkannt werden.

Markus Kellenberger

Die meisten von uns beginnen den Tag mit einer psychoaktiven Substanz namens Kaffee. Er enthält Koffein, das ist eine Substanz, die auf das gesamte Nervensystem wirkt. Es macht wach, putscht auf, und wer zu viel davon zu sich nimmt, bekommt das in Form von Nervosität, Herzrhythmusstörungen und Schlaflosigkeit zu spüren. Der berühmte Basler Arzt Paracelsus hat das vor rund fünfhundert Jahren so zusammengefasst: «Kein Ding ist Gift, allein die Dosis macht es.» Das gilt auch für Substanzen wie LSD, MDMA und Psilocybin.

Diese drei Psychedelika, was in Altgriechisch «die Seele offenbarend» heisst, galten lange als gefährlich, weil fast ausschliesslich nur über deren Missbrauch berichtet und geredet wurde. «Doch das hat sich zum Glück geändert», sagt Felix Müller, Co-Präsident der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Psycholytische Therapie SÄPT. Seit rund 30 Jahren werden mit Bewilligung des Bundesamtes für Gesundheit BAG verschiedene Behandlungen mit LSD, MDMA und Psilocybin gemacht und an den Universitäten Zürich und Basel wird intensiv über die Wirkung dieser Substanzen geforscht.

Aktuell gibt es in der Schweiz rund 100 Therapeutinnen und Therapeuten, die Menschen mit schweren Depressionen, Angst- und Trauma-Störungen mit ihnen behandeln dürfen.

Gute Erfahrungen in laufenden Versuchen

Die bisherigen Erfahrungen mit diesen Therapie- Hilfsmitteln sind grundsätzlich positiv, sagt Felix Müller, der an der Universität Basel die Forschungsgruppe für Substanz-gestützte Therapie leitet. «Der Vorteil dieser Substanzen ist, dass sie richtig begleitet und eingesetzt den Patientinnen und Patienten einen viel schnelleren Zugang zum Kern ihrer Probleme ermöglichen können, als die ausschliesslich auf Gespräch basierende, klassische Psychotherapie.» Müller wundert es denn auch nicht, dass Psychedelika von vielen schon lange auch ausserhalb bewilligter Therapien für tiefere Erkenntnisse über sich selbst genutzt werden – wenn auch noch illegal.

«Das sind in der Regel Menschen ab dem mittleren Alter, die sich mit Lebensfragen befassen oder spirituelle Erkenntnisse suchen», sagt Müller. Das ist auch die Erfahrung von Claude Weill. Der ehemalige Journalist aus Zürich befasst sich seit längerem mit psychoaktiven Substanzen und deren Wirkung. In seinem Buch «Elysium hin und zurück» lässt er neun Frauen und Männer über ihre Erlebnisse mit Psychedelika im Alltag berichten. Sie alle erzählen von tiefgreifenden, lebensverändernden Erfahrungen wie zum Beispiel neuer, innerer Klarheit oder neu gefundener Verbundenheit zu sich selbst.

Diese Menschen sind weit vom Thema Missbrauch entfernt, sondern sie nutzen die Wirkung dieser Stoffe auf eigene Verantwortung, um Lebenskrisen zu meistern oder hin und wieder auch im Rahmen festgelegter Rituale – wie zum Beispiel in geführten Meditationen – zu neuen Einsichten zu gelangen oder alte Glaubenssätze loszulassen. Im Gegensatz zu Rauschmitteln wie Alkohol trüben Psychedelika die Wahrnehmung nicht, sondern klären und erweitern sie. «Es gibt viele gute Gründe, um mit solchen Substanzen zu experimentieren », sagt Weill, der regelmässig Treffen organisiert, in denen sich Menschen über ihre Erfahrungen mit Psychedelika und auch mit der sogenannten Mikro-Dosierung im geschützten Rahmen austauschen können.

Recht auf Aufklärung und Information

Der geschützte Rahmen und der Austausch der gemachten Erfahrungen sind aus zwei Gründen wichtig, erklärt Roger Liggenstorfer: «Diese Substanzen sind noch immer illegal, auch wenn die Justiz mittlerweile beim privaten Gebrauch weitgehend wegsieht.» Viel wichtiger aber sei, dass Menschen den richtigen Umgang mit psychoaktiven Substanzen lernen können, «denn sie haben ein Recht auf Aufklärung und Information über die richtige Verwendung dieser Stoffe».

Das sei für ihn die Hauptmotivation gewesen, als er vor über 40 Jahren in Solothurn den Nachtschattenverlag gründete. Bis heute publiziert dieser Verlag neben Büchern auch die Zeitschrift «Lucys Rausch», in der renommierte Fachleute über psychoaktive Substanzen aus aller Welt, über ihre Wirkung, ihren medizinischen und spirituellen Nutzen und ihre kulturelle Einbettung berichten – und sich selbstverständlich auch für deren Entkriminalisierung einsetzen, denn: Psychoaktive Stoffe haben in der Geschichte der Menschheit immer eine wichtige Rolle gespielt, und wurden von Kirche und Staat aus unterschiedlichsten Gründen auch immer wieder verboten.

Seit der Steinzeit, darin sind sich Paläontologen und Ethnologen einig, verwenden Schamaninnen und Schamanen auf allen Kontinenten Pflanzen wie Ayahuasca, Peyote oder Fliegenpilze, um in veränderte Bewusstseinszustände vorzudringen und dort den Kontakt zu Ahnen, Geistern und Göttern jeglichen Geschlechts herzustellen. Diese Rituale sind dabei nicht blosse Ekstaseerlebnisse, sondern tief verwurzelte, rituelle Handlungen, die das soziale Gefüge stärken und über Jahrtausende hinweg nicht nur der Heilung von Krankheiten dienten, sondern auch das kulturelle und spirituelle Erbe der Menschen formten. Der deutsche Ethnobiologe Wolf-Dieter Storl ist sich sogar sicher: «Ohne den Gebrauch psychoaktiver Substanzen hätten sich wahrscheinlich keine Religionen gebildet.»

Ein Weg zur spirituellen Erkenntnis

Diese Sichtweise vertritt auch die Religionswissenschaftlerin Almut-Barbara Renger, die an der Universität Basel auch über die Zusammenhänge zwischen Religion und Drogen forscht. Aus ihrer Sicht können psychoaktive Substanzen den Zugang zu Erfahrungen jenseits der normalen Wahrnehmung ermöglichen und so als Werkzeug der spirituellen Selbsterkenntnis dienen und den Glauben vertiefen. Für Renger ist dabei entscheidend, dass solche Mittel immer mit einer klaren Absicht und in einem rituellen Rahmen verwendet werden, in dem Respekt vor diesen natürlichen Kräften herrscht. So genutzt, sagt Renger, können Psychedelika helfen, «den Schleier der Alltäglichkeit zu lichten und Einblicke in tiefere Dimensionen des Selbst zu gewähren.»

In ihren Schriften und Vorträgen kritisiert Professorin Renger immer wieder die bis heute weit verbreitete Betrachtung von Drogen, die fast ausschliesslich auf den Missbrauch fokussiert ist. Sie plädiert dafür, den Blick wieder auf den bewussten und kontrollierten Gebrauch sogenannter Rauschmittel als wichtigen Bestandteil vieler spiritueller Bräuche zu richten – und damit auch auf unser damit zusammenhängendes kulturelles, religiöses Erbe. «Richtig genutzt», sagt sie, «können Psychedelika Menschen helfen, eine tiefe Verbindung zu sich selbst, zur Natur und auch zum Göttlichen herzustellen». Auch das kann eine Heilwirkung entfalten.

Alles ist eine Frage der Zeit

Im Rahmen der verschiedenen Versuchsreihen mit psychoaktiven Substanzen sind in der Schweiz mittlerweile mehr als tausend Patientinnen und Patienten behandelt worden. Nicht zuletzt dank der weitgehend positiven Erfahrungen und entsprechender Berichterstattung in den Medien, ist auch das Interesse daran gewachsen. Das bekommt die Ärztegesellschaft für Psycholytische Therapie SÄPT zu spüren. «Immer häufiger werden wir nach den Möglichkeiten einer solchen Therapie gefragt», sagt Felix Müller. Doch die meisten Interessenten müsse er abweisen. «Die Bedingungen dafür sind noch sehr streng, und die Kapazitäten der Therapeutinnen und Therapeuten beschränkt.» Er rechnet aber damit, dass bis in fünf Jahren erste Medikamente auf der Basis von LSD, MDMA und Psilocybin zugelassen werden und offiziell als Heilmittel auf den Markt kommen. Dann sollte eine breitere Anwendung bei begleiteten Therapien möglich sein, schätzt er.

Müller kennt das wachsende Interesse an der Anwendung von Psychedelika zur Selbstreflektion und zur persönlichen Entwicklung, betont jedoch die Notwendigkeit weiterer Forschung. «Wer glaubt, mit ein, zwei Einnahmen könnten alle Probleme oder persönliche und spirituelle Fragen geklärt werden, wird enttäuscht sein.» Bewusstseinserweiternde Substanzen könnten Erkenntnisprozesse zwar beschleunigen, aber die eigentliche Arbeit, nämlich diese zu verarbeiten und ins Leben zu integrieren, nehmen sie den Menschen nicht ab. Hier gehe es letztlich um tiefgreifende Veränderungsprozesse, und die brauchen eine ernsthafte Auseinandersetzung, im besten Falle auch eine Begleitung – und vor allem Zeit. Und etwas ganz Wichtiges dürfe bei Selbstversuchen auch nicht vergessen werden, sagt Müller als Arzt: «Jede Substanz, die eine Wirkung hat, kann auch Nebenwirkungen haben.»

Buchtipps

Terence McKenna: «Speisen der Götter – die Suche nach dem ursprünglichen Baum der Weisheit», Verlag Nachtschatten, 2024

Claude Weill: «Elysium hin und zurück – mit Psychedelika unterwegs in der zweiten Lebenshälfte», Verlag Spuren, 2020

Markus Berger: «Microdosing – niedrig dosierte Psychedelika im Alltag», Verlag Nachtschatten, 2019

 

Mikro-Dosierung als Selbsttherapie

Bei der sogenannten Mikro-Dosierung werden LSD, MDMA und Psilocybin, aber auch andere Psychedelika wie Ibogain, Meskalin oder Ayahuasca, die aus Pflanzen gewonnen werden, in geringen, nicht «high» machenden Dosen über einen längeren Zeitraum hinweg täglich eingenommen. Das Ziel ist, im Alltag leistungsfähiger zu sein oder in Eigentherapie Depressionen und Ängste zu mildern. Die Mikro-Dosierung mit psychoaktiven Substanzen ist keine anerkannte Therapieform, sondern geschieht auf eigene Verantwortung.

Ob Mikro-Dosierung tatsächlich wirkt, ist unter Fachleuten umstritten. Erste Studien deuten darauf hin, dass die Kleinstmengen tatsächlich die Leistung von Probanden in bestimmten Denk- und Kreativitätstests steigern und sich positiv auf Depressionen auswirken können. Aber: Auch die potenziellen Risiken der Mikro-Dosierung und ihre Wirkung bei Menschen mit psychischen Erkrankungen sind noch wenig erforscht. So ist zum Beispiel nicht bekannt, ob schon winzige LSD-Mengen bei psychisch labilen Menschen eine Psychose auslösen können.

 

LSD, MDMA und Psilocybin

Einst als gefährlich verteufelt, werden die drei psychoaktiven Substanzen LSD, MDMA und Psilocybin heute für therapeutische Zwecke erforscht und von vielen Menschen schon lange zur Selbsterkenntnis verwendet. Die bisherigen Forschungsergebnisse sind vielversprechend. Wie wirken diese drei Substanzen – und wofür sind sie gut?

LSD – Die Reise ins Bewusstsein

Herkunft und Herstellung: LSD (Lysergsäurediethylamid) wurde 1938 vom Schweizer Chemiker Albert Hofmann bei Sandoz in Basel entdeckt. Ursprünglich suchte Hofmann nach kreislaufwirksamen Medikamenten aus dem Mutterkornpilz (Claviceps purpurea). Doch erst 1943, als er versehentlich eine winzige Menge davon einnahm, erkannte er die gewaltige psychoaktive Wirkung dieser Substanz. LSD wird synthetisch hergestellt.

Wirkung: LSD verstärkt Wahrnehmungen, Farben leuchten intensiver, Gedanken fliegen oder drehen sich in Schleifen. Die Realität löst sich auf, Zeit verliert ihre Bedeutung. In hohen Dosen können Ego-Auflösung und tiefe spirituelle Erfahrungen eintreten – bei zu hohen Dosen kann es zu einem erschreckenden «Horrortrip» kommen.

Therapeutische Anwendung: LSD wurde bereits in den 1950erund 60er-Jahren von Psychiatern zur Behandlung von Angststörungen, Depressionen und Suchterkrankungen eingesetzt. Einer der Pioniere war der Tscheche Stanislav Grof, Psychotherapeut und einer der ersten Vertreter der psycholytischen Therapie. Heute wird LSD von Therapeutinnen und Therapeuten in kontrollierten und vom Bundesamt für Gesundheit bewilligten Settings und auch an den Universitäten Zürich und Basel wieder erforscht, unter anderem in der Sterbebegleitung. Studien zeigen, dass LSD tiefsitzende Ängste lösen und zu einer Akzeptanz des Todes führen kann. Mikrodosiert wird es zudem auf seine potenziellen Effekte auf Kreativität und mentale Gesundheit untersucht.

MDMA – Von der Partydroge zum Therapiebooster

Herkunft und Herstellung: MDMA (3,4-Methylendioxymethamphetamin) wurde 1912 vom deutschen Pharmaunternehmen Merck entwickelt, zunächst ohne grosses Interesse. Erst in den 1970er-Jahren erkannte der US-Amerikanische Chemiker Alexander Shulgin sein Potenzial für die Psychotherapie. Später wurde MDMA als «Ecstasy» zum Partyphänomen – und daraufhin weltweit verboten. Heute wird es unter streng kontrollierten Bedingungen wieder medizinisch genutzt.

Wirkung: MDMA steigert Empathie, fördert emotionale Offenheit und verstärkt das Gefühl von Verbundenheit. Es löst Angst und Misstrauen und erzeugt eine warme, euphorische Stimmung. Im Gegensatz zu LSD verursacht es keine Halluzinationen, sondern verstärkt vor allem emotionale Prozesse.

Therapeutische Anwendung: MDMA wird derzeit intensiv zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) erforscht. In Kombination mit einer Psychotherapie ermöglicht es traumatisierten Menschen, belastende Erinnerungen zu verarbeiten, ohne von überwältigenden Ängsten oder von Selbsthass blockiert zu werden. Besonders Kriegsveteranen und Opfer von Gewalt profitieren von dieser Methode. Klinische Studien zeigen, dass MDMA-Therapien deutlich wirksamer sind als klassische Behandlungsformen – weshalb eine baldige Zulassung wahrscheinlich ist.

Psilocybin – Die Magie der Pilze

Herkunft und Herstellung: Psilocybin ist der Wirkstoff in sogenannten Magic Mushrooms, psychoaktiven Pilzen wie dem Spitzkegeligen Kahlkopf, der auch in der Schweiz wächst . Diese Pilze wurden und werden seit Jahrtausenden weltweit in schamanischen Ritualen verwendet. Heute wird Psilocybin für medizinische Zwecke synthetisch hergestellt.

Wirkung: Ähnlich wie LSD verändert Psilocybin das Bewusstsein, verstärkt Sinneswahrnehmungen und kann spirituelle Erlebnisse hervorrufen. Im Unterschied zu LSD fühlt sich der veränderte Bewusstseinszustand oft «natürlicher» an, mit einer tieferen Verbundenheit zur Umwelt und weniger gedanklichen Ausschweifungen.

Therapeutische Anwendung: Psilocybin gilt als vielversprechende Behandlung bei Depressionen und Angststörungen, insbesondere bei Patienten, die auf klassische Antidepressiva nicht ansprechen. Studien zeigen, dass eine einzige hohe Dosis zu nachhaltigen Verbesserungen führen kann – oft verbunden mit tiefgreifenden Einsichten über das eigene Leben. Auch bei Sterbebegleitung und Suchtbehandlungen, zum Beispiel gegen Nikotinabhängigkeit, wird Psilocybin erprobt. Wichtig: LSD, MDMA und Psilocybin sind für den Privatgebrauch nicht legal erhältlich. Diese Substanzen unterstehen dem Betäubungsmittelgesetz, das den Handel mit ihnen auf dem freien Markt verbietet. Auch Käuferinnen und Käufer können gebüsst werden.

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