Einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen?
Am 24. November 2024 stimmen die Schweizer Stimmberechtigten über die Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung «Einheitliche Finanzierung der Leistungen» (EFAS) ab. Das Parlament hat mit einer Änderung des Krankenversicherungsgesetzes beschlossen, dass alle Leistungen der obligatorischen Krankenversicherung von Krankenkassen und Kantonen gemeinsam und nach demselben Verteilschlüssel finanziert werden. Hier die Stellungnahmen für und gegen die Revision.
Pro
Faire Finanzierung der Spitex hilft Kosten sparen
Für viele Prämienzahlende sind die immer steigenden Prämien eine grosse Belastung. Doch: Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung will die gute Qualität unseres Gesundheitswesens nicht gefährden. Die einheitliche Finanzierung setzt genau hier an: Sie stärkt die Versorgungsqualität, senkt die Kosten und entlastet die Prämienzahlenden.
Es kommt oft zu stationären Eingriffen mit nicht notwendigen Spitalübernachtungen. Das ist teuer und die Gesundheitskosten steigen, ohne dass sich die Qualität verbessert. Nehmen wir als Beispiel die Operation eines Leistenbruchs. Dieser häufige Eingriff kann aus medizinischer Sicht problemlos ambulant durchgeführt werden. Bei einem ambulanten Eingriff bezahlt aktuell die Krankenversicherung 100 Prozent der Kosten. Bleibt der Patient jedoch über Nacht im Spital, trägt die Krankenversicherung nur 45 Prozent der Kosten, während der Kanton die restlichen 55 Prozent übernimmt. Die stationäre Behandlung fällt für die Versicherer heute oft günstiger aus, obwohl ambulante Eingriffe insgesamt kostengünstiger sind. Das aktuelle System bietet wenig Anreiz, ambulante Behandlungen zu fördern.
Mit einer einheitlichen Finanzierung sollen alle Leistungen – egal, ob diese ambulant, stationär oder in der Pflege (Spitex oder Pflegeheim) erbracht werden – nach demselben Verteilschlüssel finanziert werden. Das heisst, die Kantone übernehmen immer mindestens 26,9 Prozent und die Krankenversicherer höchstens 73,1 Prozent der Kosten. Damit steigt der Anreiz, für die Patientinnen und Patienten jeweils die beste Behandlungsform zu fördern und nicht die lukrativste.
Durch die einheitliche Finanzierung werden alle Gesundheitsleistungen durch die Versicherer und Kantone eben einheitlich finanziert und gemeinsam gesteuert. Dadurch wird die Zusammenarbeit zwischen Ärzteschaft, Spitex, Spitälern, Heimen gestärkt und so auch die Versorgungsqualität. Doppelspurigkeiten werden vermieden und die Kosten optimiert. Davon profitieren die Patientinnen und Patienten, wie auch das Gesundheitspersonal.
Für die Pflegekräfte bedeutet die einheitliche Finanzierung eine Entlastung und eine stärkere Verhandlungsposition. Die Institutionen der Pflege können endlich die Tarife ihrer Leistungen direkt mit den Versicherern und Kantonen aushandeln.
Die Schweizer und Schweizerinnen brauchen dringend eine Entlastung bei den Prämien. Deshalb setzt sich Spitex Schweiz am 24. November für ein JA der einheitlichen Finanzierung ein.
Marianne Pfister ist seit 2015 Geschäftsführerin und seit 2022 Co-Geschäftsführerin des Dachverbandes Spitex Schweiz. Sie ist unter anderem Stiftungsrätin der Stiftung Patientensicherheit Schweiz, Vorstandsmitglied von OdASanté Schweiz und VR-Mitglied der Psychiatrie Baselland.
Kontra
Gefährliches Experiment mit der Finanzierung von Gesundheitsdienstleistungen
Die neue Reform der Gesundheitsfinanzierung ist auf dem Papier attraktiv. Doch in Wirklichkeit ist es eine Falle für Versicherte und Patienten. Hier die wichtigsten Gründe, warum der VPOD ein Nein zu EFAS, der gefährlichen Reform des Krankenversicherungsgesetzes KVG, empfiehlt.
Mit EFAS werden die Pflege in den Pflegeheimen und zu Hause (Spitex) hauptsächlich über die Krankenkassenprämien finanziert – heute bezahlen das zum Grossteil die Kantone. Im Bereich der Altenpflege steigen die Kosten jedoch am schnellsten. Mit der Reform drohen die unfairen Pro-Kopf-Prämien noch schneller zu steigen als ohne die Reform! In 17 Kantonen, darunter Zürich, Bern, Basel und Luzern, steigen die Prämien mit der Einführung der Reform auf einen Schlag um insgesamt 250 Millionen Franken!
Heute ist der Betrag, den ältere Menschen für die Pflege bezahlen, begrenzt. Sie kostet pro Tag max. 15 Franken für die Pflege daheim und max. 23 Franken bei einem Aufenthalt im Pflegeheim. Mit der Reform werden diese Begrenzungen nach einer Übergangsfrist gestrichen. Der Bundesrat ist frei, diesen Betrag laufend zu erhöhen. Vor einigen Wochen hat er bereits eine Motion der SVP gutgeheissen, die Mindestfranchise zu erhöhen. Der Weg ist frei, die ältere Bevölkerung mit höheren Kosten zu belasten. Davon sind wir alle früher oder später betroffen.
Mit der Reform wird bei der Langzeitpflege, also bei der Spitex und den Pflegeheimen, das gleiche System eingeführt, wie es heute in der Spitalfinanzierung bereits nicht funktioniert. Ein neuer Pauschaltarif wird vor allem öffentliche Anbieter unter Druck setzen. Immer mehr private Akteure würden in den neu geschaffenen Markt drängen und sich zwecks Profitmaximierung auf lukrative Fälle konzentrieren.
Öffentliche Anbieter mit breitem Versorgungsauftrag würden zunehmend unter Druck kommen, weil die Grundleistungen nicht genügend finanziert sind. Wo Ressourcen knapp sind, wird das Personal noch mehr unter Druck stehen und die Qualität der häuslichen Pflege und in den Pflegeheimen wird sich verschlechtern.
Natascha Wey ist Gemeinderätin der Stadt Zürich und gehörte von 2016 bis 2020 als eine der beiden Präsidentinnen der SP Frauen* der Geschäftsleitung ihrer Partei an. Hauptberuflich ist sie seit Januar 2021 stellvertretende Generalsekretärin des Verbands des Personals öffentlicher Dienste (VPOD). In dieser Funktion hat sie auch diesen Kontra-Standpunkt verfasst.