«Der Kostenanteil der Homöopathie in der Grund­versicherung ist sehr gering»

Die bisherige Kostenübernahme von homöopathischen Behandlungen durch die Grundversicherung steht auf dem Spiel. Seit letztem Herbst läuft beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) ein sogenanntes Umstrittenheitsverfahren. Dr. med. Gisela Etter-Kalberer, Ärztin und Vorstandsmitglied des Dachverbandes für Komplementärmedizin (Dakomed) nimmt Stellung dazu.

Interview: Samuel Krähenbühl


«natürlich»: Gemäss Medienberichten hat das BAG aufgrund der Klage einer Privatperson ein Verfahren eröffnet. Mit dem Verfahren soll geklärt werden, ob die Homöopathie weiterhin über die Obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) abgerechnet wird. Wie kommt es gerade jetzt dazu? Das Thema schien ja geklärt …

Dr. med. Gisela Etter-Kalberer: Von offizieller Seite haben wir keine Kenntnis eines Verfahrens. Zudem wäre es ein absolutes Novum, dass erstens eine ganze medizinische Methode in Frage gestellt würde, und zweitens, dass der Antragsteller eine Einzelperson wäre. Gewisse politische Kreise versuchen neuerdings von den wirklichen Problemen im Gesundheitswesen abzulenken, indem sie z. B. die Homöopathie thematisieren. Und es scheint eher ein ideelles Ansinnen zu sein als ein echt wissenschaftliches.


Die Homöopathie ist wie vier andere alternative Heilmethoden fester Bestandteil des Leistungskatalogs der Krankenkassen. Dies als Folge eines Volksentscheids von 2009, als zwei Drittel der Stimmenden eine entsprechende Initiative annahmen. Ist es rechtlich überhaupt möglich, darauf zurückzukommen?

Umstrittenheitsabklärungen sind rechtlich möglich, ebenso Anträge von Einzelpersonen. Das BAG muss jedoch nur darauf eintreten, wenn die Begründungen wissenschaftlich fundiert sind.


Kommen wir zum Inhaltlichen: Konkret wird die Homöopathie in Frage gestellt. Angezweifelt wird die Erfüllung der Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW). Was sagen Sie dazu?

Fasst man den aktuellen Stand der Forschung zur Homöopathie zusammen, kann man schlussfolgern, dass homöopathische Präparate spezifische Wirkungen zeigen, die sich von Placebo unterscheiden. Weitergehende universitäre Forschung zur Homöopathie findet aktuell zum Beispiel an der medizinischen Fakultät der Universität Bern statt (Institut für Komplementäre und Integrative Medizin IKIM, Prof. Ursula Wolf). Zudem zeigen sozialwissenschaftliche Studien immer wieder, dass die Homöopathie bei den Patientinnen und Patienten sehr beliebt ist. Und auch bezüglich Wirtschaftlichkeit zeigen aktuelle Daten, dass die Homöopathie in geeigneten Anwendungsbereichen gegenüber rein konventionellen Therapien mindestens ebenso wirksam ist und weniger oder ähnliche Kosten verursacht, also eher eine bessere Wirtschaftlichkeit zeigt.


Sie sprechen die Kosten an. Im Gesundheitswesen sind ja die Kosten immer ein grosses Thema. Kann man sagen, wie viel die Kosten für die homöopathischen Behandlungen in der Grundversicherung ausmachen und wie stark sie gestiegen sind?

Der Kostenanteil der Homöopathie in der Grundversicherung ist sehr gering und entspricht konstant ungefähr acht bis zehn Millionen Franken pro Jahr. Würde die Homöopathie aus der Grundversicherung gestrichen, dann würde das die Prämien für die einzelnen Versicherten nicht reduzieren.


Wie schlimm wäre es, wenn die Homöopathie nicht mehr über die Grundversicherung abgerechnet werden könnte? Es gibt ja auch Zusatzversicherungen oder man könnte selbst etwas zahlen …

Das Nachsehen haben alle Menschen, die sich eine Zusatzversicherung nicht leisten können oder wegen ihrem Alter oder einer bereits diagnostizierten Krankheit keinen Zugang zu einer Zusatzversicherung erhalten. Die Therapiewahlfreiheit und Methodenvielfalt wären immer häufiger einer finanzstarken Elite vorbehalten.


Falls die homöopathischen Behandlungen tatsächlich nicht mehr über die Obligatorische Krankenversicherung abgerechnet werden könnten: Würde der Dachverband Komplementärmedizin (Dakomed), in dem Sie Vorstandsmitglied sind, aktiv werden?

Wir sähen uns gezwungen, uns zugunsten der Bevölkerung auf alle Fälle zu wehren, weil die Homöopathie keine Ausnahme bliebe und weitere komplementärmedizinische Methoden folgen würden. Mit komplementärmedizinischen Methoden können Krankheiten (z. B. während Schwangerschaft, bei Kindern) behandelt werden, für die konventionelle Medizin keine Behandlungen oder solche mit höheren oder gar unvertretbaren Risiken bietet.

« Wir sähen uns gezwungen, uns zugunsten der Bevölkerung auf alle Fälle zu wehren.»


Nicht nur in der Schweiz läuft eine Diskussion. Deutschland will die Homöopathie komplett aus der Krankengrundversicherung verbannen. Der deutsche Gesundheitsminister Lauterbach ist ein erbitterter Gegner der Homöopathie. Ist das ein internationaler Trend oder sind Deutschland und die Schweiz Ausnahmen?

Dass die Politik die Homöopathie in einzelnen Ländern aus der medizinischen Grundversorgung ausschliessen möchte, ist leider eine Realität. Die Schweiz hat ein solidarisches und fortschrittliches Gesundheitswesen mit der Möglichkeit alles Wissen in der Medizin für die Patientinnen und Patienten gemeinsam einzusetzen. Und dieses sehr moderne Konzept einer integrativen Medizin findet viele Befürworter in der Schweiz und international. Integrative Medizin hat mehr Behandlungsmöglichkeiten und damit mehr Erfolg. Wirksame Behandlungen aus ideologischen Gründen zu verhindern, ist unethisch. Es stimmt zuversichtlich, dass die WHO die traditionelle Medizin fördern möchte. Und Homöopathie gehört mit ihren über 200 Jahren Anwendung zur traditionellen Medizin Mitteleuropas.

 

 Dr. med. Gisela Etter-Kalberer ist Fachärztin Allgemeine Innere Medizin, Mitglied FMH, und hat einen Fähigkeitsausweis Homöopathie (SVHA). Sie übt seit 1997 eine selbstständige Praxistätigkeit in Richterswil, ZH, aus. Sie ist weiter Präsidentin UNION Schweizerischer komplementärmedizinischer Ärzteorganisationen, Präsidentin des Schweizerischen Vereins homöopathischer Ärztinnen und Ärzte und Mitglied im Vorstand Dachverband Komplementärmedizin (Dakomed). Schliesslich ist sie auch Weiterbildnerin Homöopathie (SVHA).

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