Biohacking – das Phänomen der Selbstoptimierung
Biohacking hat das Ziel, ein gesünderes und bewussteres Leben zu erreichen. Sie überwachen und kontrollieren den Körper um herauszufinden, in welchen Bereichen Optimierungen vorgenommen werden müssen. Ein vielversprechender Weg zu mehr Verantwortung für die eigene Gesundheit?
Laura Columberg
D er Begriff Biohacking sowie die Szene selbst haben sich in den letzten Jahren ausgehend von den USA in Europa verbreitet. Das Wort setzt sich aus «Bio» (Bedeutung: Leben) und «Hacking» (Bedeutung: Entschlüsseln und Kontrollieren) zusammen und gibt erste Hinweise, worum es dabei geht: Ziel ist es den eigenen Körper und Geist bestmöglich zu kennen und die Leistungsfähigkeit zu optimieren. So kann die Fitnessuhr mit der Pulsüberwachung oder die Aufzeichnung der Schlafqualität, bereits zum Biohacking gezählt werden. Auch Nahrungsergänzungsmittel, die das Ziel haben, unsere Gesundheit zu stärken wirken wie kleine Hacker in unserem Körper.
Als Do-it-yourself-Bewegung fällt Biohacking in den Bereich der Selbstoptimierung. Man soll zu seinem bestmöglichen Selbst, seinem Maximum werden und ein intensiveres Bewusstsein für den Körper entwickeln. Gibt man dem Körper, was er braucht, wird man mit Energie und Widerstandskraft belohnt. Im Kern geht es darum, im Einklang mit der Natur und dem eigenen Körper zu leben. Anfänglich mag das stark nach Leistungsdruck und Stress klingen. Nach Überwachung und Kontrolle. Zudem löst der Begriff «hacking» – geprägt durch die digitale Welt – nicht gerade wohlige Gefühle aus. Bei genauerer Betrachtung lassen sich aber verschiedene Abstufungen und Intensitäten von Biohacking erkennen.
Wunsch und Ziel von Biohacking
Kontrollieren und Optimieren lässt sich der gesamte Körper. Als Hauptoptimierungsbereiche können die Ernährung, Bewegung, Regenerationsfähigkeit sowie die mentale Gesundheit hervorgehoben werden. In diesen Bereichen bietet sich das meiste Potenzial, um den eigenen Körper zu stärken. Regelmässig und richtig angewendet versprechen die Hacks einem mehr Energie und Konzentrationsfähigkeit, eine höhere körperliche Leistungsfähigkeit, eine starke Widerstandskraft, weniger Stress und eine verbesserte mentale Gesundheit sowie eine hohe Selbstwahrnehmung.
Biohaking – wie geht das?
Um ein Gefühl für die Idee hinter dem sperrigen Begriff Biohacking erhalten zu können beleuchten wir Teilbereiche dieser Gesundheitsszene. Hierbei wird deutlich, dass wir alle einige Hacks bereits in unseren Lebensweisen untergebracht haben. Aber mehr aus Überzeugung und Bewusstsein, als aus der Trendbewegung der Selbstoptimierung.
1. Was Biohacker*innen essen und trinken: Wenn es um Gesundheit und Leistungsfähigkeit geht, spielt die Ernährung eine wichtige Rolle. Die meisten Menschen in der Biohacking-Szene sind sich einig, dass eine optimierte Ernährung auf regionalen, saisonalen und qualitativ hochwertigen Lebensmitteln basiert. Regelmässige Fastenphasen wie das Intervallfasten werden konsequent eingebaut, sowie Nahrungsmittel, die eine gesunde Darmflora fördern sollten. Hierzu zählen Ballaststoffe aus Lein- und Flohsamen, Linsen und Vollkornprodukte, naturtrüber Apfelessig, Obst und Gemüse sowie fermentierte Lebensmittel wie Sauerkraut, Kefir, Miso, Kombucha usw. Zusätzlich wird auf eine optimale Nährstoffversorgung geachtet – dies bedeutet, der Fokus liegt auf pflanzlicher, eiweisshaltiger Ernährung mit gesunden Fetten. Reich an Nährstoffen sind zum Beispiel frische Sprossen. Der Fleischkonsum wird bewusst klein gehalten und nur aus guter Tierhaltung gewählt. Kohlenhydrate werden meist komplett gemieden – der Körper lernt dadurch seine Energie langfristig aus Fetten zu ziehen. Damit können Blutzuckerschwankungen vermieden werden. Bei Nahrungsergänzungsmitteln schauen Biohacker*innen genau auf die Etikette. Ein Produkt sollte möglichst rein sein und frei von Farb-, Duft- oder Konservierungsstoffen. Es lohnt sich eine Fachperson in der Naturheilpraxis, Drogerie oder Apotheke um Rat zu fragen. Im Onlinehandel finden sich viele fragwürdige Produkte. Bei der Getränkewahl wird auf Wasser oder Tee, möglichst ohne Zucker oder Zusätze gesetzt. Haben Sie gewusst, dass die allgemein empfohlene tägliche Trinkmenge bei 35 ml pro kg Körpergewicht liegt? Bei intensiver körperlicher Betätigung oder Hitze sollte die Trinkmenge auf 40 ml pro kg Körpergewicht erhöht werden. Auf alkoholische oder koffeinhaltige Getränke wird oft komplett verzichtet.
2. Wie sich Biohacker*innen fit halten: Bewegung und Sport haben einen hohen Stellenwert in der Szene. Nebst Ausdauer- und Krafttraining zur Stärkung der Muskulatur wird auch die Flexibilität in den Fokus gerückt. Yoga, Stretching und vieles mehr gehört da zur täglichen Anwendung. Den Biohacker*innen ist bewusst, dass die alleinige Aktivierung des Sympathikus durch Sport nicht gesund ist. Daher achten sie im Alltag darauf auch entspannende Methoden wie Spaziergänge, Waldbaden oder Meditationen einzubauen. Diese Methoden aktivieren den Parasympathikus – ein wichtiger Teil des vegetativen Nervensystems und Gegenspieler des Sympathikus – der für die Entspannung zuständig ist. Zu Beginn einer Umstellung empfiehlt es sich klein zu starten. Treppensteigen, mit dem Rad zur Arbeit fahren, ein Spaziergang in der Mittagspause oder ein Stehpult machen bereits einen Unterschied.
3. Welche Rolle der Schlaf spielt: Wie wir uns durch den Tagesablauf bewegen oder den Abend einläuten, beeinflusst die Schlafqualität. Sobald es dunkel wird, beginnt der Körper das Schlafhormon Melatonin auszuschütten. Licht mit einem hohen Blaulichtanteil wie beim Smartphone oder Laptop stört die Melatonin-Produktion. Auch langes Fernsehen vor dem Schlafen kann zu einem unruhigen Schlaf führen. Biohacker*innen achten nicht erst bei Schlafstörungen auf die Verbesserung des Schlafklimas. Sinnvolle Umstellungen können grosse Wirkung zeigen: Die Luftfeuchtigkeit sollte zum Beispiel um 50 % liegen – regelmässiges Lüften ist daher sehr wichtig. Im Winter kann mit Luftbefeuchter oder aufgehängter Wäsche nachgeholfen werden. Die Temperatur im Schlafzimmer sollte um die 18 Grad Celsius liegen. Das Schlafzimmer sollte reizarm und mit natürlichen Materialien ausgestattet sein. Bedenken Sie, dass sich die Atmung im Schlaf vertieft und «Giftstoffe» aus Kunstmaterialien so 6–8 Stunden besonders intensiv aufgenommen werden. Zimmerpflanzen unterstützen eine gute Raumluft. Zudem sollte das Schlafzimmer nicht zum Arbeiten genutzt werden. Biohacker*innen richten sich ausserdem nach dem zirkadianen Rhythmus. Dieser beschreibt den natürlichen 24-Stunden-Tagesrhythmus des Körpers. Im Laufe des Tages verändern sich viele Körperfunktionen und -parameter wie Blutdruck, Körpertemperatur und die Hormonausschüttung. Besonders letzteres führt dazu, dass wir je nach Tageszeit besonders leistungsfähig, schmerzunempfindlich oder müde sind. Die moderne Lebensweise mit künstlichem Licht, Schichtarbeit und anderen Umwelteinflüsse kann diesen natürlichen Rhythmus aus dem Gleichgewicht bringen.
4. Wie Biohacker*innen an ihrem Mindset arbeiten: Nebst dem körperlichen Fokus, achten Biohacker*innen auch bewusst auf ihre Gefühle und den Geist. Mithilfe von Journaling – dem Aufschreiben von Zielen, Gedanken und To-do-Listen – wird Ordnung in den Geist gebracht. Fortschritte können besser verfolgt und Ziele visualisiert werden. Zudem ergibt sich in den Momenten des Schreibens eine wertvolle Auszeit für den Körper und Geist. Alternativ oder ergänzend können in einem Dankbarkeitstagebuch täglich drei Punkte notiert werden, für die man dankbar ist. Dies hilft besonders Menschen in einer Lebenskriese. Und als letzter sehr wichtiger Punkt, sollten soziale Kontakte gepflegt werden. Gemeinschaft sowie Berührungen werden oftmals unterschätzt, wenn es um die Gesundheit geht.
Gefahren der Selbstoptimierung
Durch moderne Lebensweisen und die digitale Entwicklung verändert sich die Szene. Immer mehr Biohacker*innen setzten auf Wearables – also tragbare Technologie wie Fitnessarmbänder, Smartwatches, Herzfrequenz- oder Blutzucker-Messgeräte – die ihre Gesundheitsdaten sammeln und analysieren.
In der Extremform versuchen sie ihren Körper mithilfe von technischen Implantaten zu verbessern. Zum Beispiel lassen sich einige Biohacker*innen Mikrochips einsetzen, um Körperdaten zu messen oder elektronische Geräte zu steuern. Auch Versuche das Erbgut anzupassen, gab es bereits. Hier gilt: Finger weg! Damit entfernt sich die Szene vom Grundgedanken des selbstverantwortlichen Umgangs mit dem eigenen Körper.
Die Gefahr liegt auch im Verlangen, immer mehr zu wollen. Noch besser und gesünder als Biohacker-Vorbilder zu sein. Routinen, die sich bewährt haben werden plötzlich langweilig. Hier braucht es eine gute Selbstreflektion und -einschätzung, um erkennen zu können, wo die eigenen Grenzen liegen. Ansonsten können sich aus dauerhafter körperlicher Überforderung und Selbstüberschätzung, krankhafte bis wahnhafte Gesundheitsstörungen bilden.
Naturheilkundlicher Blick auf die Biohacking-Szene
Naturheilkundliche Denkweisen und Therapiemethoden stellen den Menschen mit seinen Themen, Wünschen und Möglichkeiten in den Mittelpunkt. Die Individualität steht an oberster Stelle und der Weg ist das Ziel. Durch die Begleitung einer naturheilkundlichen Fachperson, können die Veränderungen und Regulierungen individueller abgestimmt werden. Bei Fragen und Unsicherheiten steht die Fachperson beratend zur Seite. Durch die Begleitung lernen Sie auch Ihren Körper besser zu verstehen und Körpersignale deuten zu können. Im Gegensatz zur Biohacking-Szene werden in der Naturheilpraxis nicht bestimmte Werte oder Leistungsziele in den Fokus gestellt und auf keinen Fall Vergleiche mit anderen gemacht. Im Netz kursieren viele fragwürdige Methoden und Ratschläge, von denen jede seriöse Fachperson im Gesundheitswesen abraten würde.
Die ursprünglichen Grundgedanken der Selbstoptimierung beruhen auf naturheilkundlichen Denkweisen und Therapiemethoden. Wir alle sind kleine Hacker*innen und haben auf unseren Lebenswegen bereits Optimierungen und Veränderungen vorgenommen – zum Wohl der eigenen Gesundheit. Mit gesundem Menschenverstand und Hilfe von Fachpersonen.
Quellen
www.geo.de/wissen/gesundheit/23 998-rtkl-gesundheit-biohacking-was-hinter-dem-system-der-selbstoptimierung, 15.2.2021
www.srf.ch/news/gesellschaft/biohacking-gesundheitstrend-oder-gefaehrlicher-selbstoptimierungswahn, 7.12.2022