Die Kraft des Atems
Unser Atem ist eng mit unserem Nervensystem verbunden. Deshalb ist es möglich, sich durch bewusstes Atmen zu entspannen und Körper und Geist in Einklang zu bringen.
Blanca Bürgisser
D er Begriff «Breathwork» ist in den letzten Jahren immer mehr aufgekommen. Je nach Definition versteht man darunter alle Arten von Atemübungen und -techniken oder aber die spezifische Praxis der bewussten verbundenen Atmung. Bei der verbundenen Atmung wird die Pause zwischen Ein- und Ausatmen bewusst weggelassen, wodurch man in eine Art Trancezustand kommen kann. «Die verbundene Atmung ist eine kraftvolle Methode, um Körper, Geist und Emotionen in Einklang zu bringen», erklärt Atemcoach und Breathwork-Facilitator Claude Flaig.
Unser Körper speichert alles Erlebte ab. Durch die bewusste verbundene Atmung können unterdrückte Emotionen, Erinnerungen und gar Traumata zum Vorschein kommen. Wenn das in Sicherheit und Kontakt erlebt werden darf, können diese Erfahrungen verarbeitet und integriert werden. Breathwork ist zudem ein wertvolles Werkzeug für die Erhöhung der Stresstoleranz, kann das Körperbewusstsein und eine bessere Schlafqualität fördern. Es kann auch helfen, alte Muster zu erkennen, sich von ihnen zu befreien und geistige Klarheit zu erlangen.
Sicherer Raum
Breathwork wird oft in Gruppensessions durchgeführt. Claude Flaig beginnt jede seiner Gruppenstunden mit einer Einführung und Übungen zur Entspannung und Erdung. Danach begleitet er die Teilnehmenden auf der circa einstündigen Atemreise, bei der sie durch die bewusste verbundene Atmung ins Innere tauchen. Während der Session ist der Breathwork-Facilitator stets im Raum und bietet bei Bedarf Unterstützung. Nach der Atemreise gibt er Zeit für das Mitteilen der erlebten Erfahrungen und führt weitere Übungen zur Erdung und Orientierung durch, um wieder im Hier und Jetzt zu landen und die während der Atemreise hochgekommenen Emotionen und Körperempfindungen zu integrieren. Da Breathwork wertvolle Prozesse auslösen kann, ist es Claude Flaig besonders wichtig, dass sich die Teilnehmenden genügend Zeit nehmen, um diese zu verarbeiten. «Dabei können Yoga, Mediation, Zeit in der Natur, Journaling oder gegebenenfalls auch Einzelsitzungen hilfreich sein», ergänzt der Atemcoach.
Während bei Gruppensessions die verbundene Atmung der zentrale Bestandteil ist, liegt in Einzelstunden das Augenmerk auf den Anliegen der Klient*innen, und Claude Flaig verwendet dabei verschiedenste Atemtechniken und -übungen. Oft setzt er auch Körperübungen aus der somatischen Psychologie ein, um Resilienz aufzubauen und zu stärken. Zurzeit spriessen Breathwork-Angebote wie Pilze aus dem Boden. Dabei ist Claude Flaig wichtig zu betonen, dass Breathwork ein kraftvolles Werkzeug ist, das professionelle Begleitung erfordert, damit das volle Potential entfaltet werden kann.
Bewusstes Atmen im Alltag
«Leider atmet ein Grossteil der Bevölkerung in unserer westlichen Gesellschaft stressbedingt falsch – nämlich oberflächlich im Brustbereich und zu schnell», erklärt Claude Flaig. So kann der Körper nur wenig des eingeatmeten Sauerstoffs an die Zellen und Organe abgeben, was das Herz kompensieren muss. Zudem wird dadurch der sympathische Teil unseres Nervensystems aktiviert, der auch für den Kampf- oder Fluchtreflex zuständig ist. Dies kann den Körper in einen Alarmzustand versetzen und Angst und Stress verstärken. «Wenn wir lernen, bewusst tief ins Zwerchfell und in den Bauch zu atmen, können wir dem entgegenwirken», betont Atemcoach Claude Flaig.
Zwar sollte die bewusste verbundene Atmung nicht unbedingt täglich angewandt werden, doch andere Atemtechniken und -übungen können wunderbar in den Alltag integriert werden und so die Lebensqualität verbessern. Eine einfache Übung für bewussteres Atmen sind kleine «Atempausen». Dabei nimmt man sich mehrmals am Tag Zeit, um einfach nur den Atem zu spüren. Am besten legt man eine Hand auf den Bauch und die andere auf die Brust und spürt den Atem. Dadurch steigt das Bewusstsein für den Atem und man ist im Moment.
Für eine gesunde Atmung im Alltag sind zudem zwei Dinge essenziell. Erstens sollte man so viel wie möglich durch die Nase atmen, auch bei leichten körperlichen Aktivitäten. Denn die Nasenatmung filtert die Luft und fördert eine gleichmässige, Atmung. Zweitens sollte man tief atmen. Dafür kann man darauf achten, langsam und bis ins Zwerchfell und den Bauch zu atmen.
Atemübungen
Atemcoach und Breathwork-Facilitator Claude Flaig empfiehlt zwei Atemtechniken für Stressreduzierung im Alltag und zur Beruhigung:
1. Die Linke-Nasenloch-Atmung:
- Setzen Sie sich bequem hin und entspannen Sie die Schultern.
- Schliessen Sie mit dem rechten Daumen oder Zeigefinger sanft das rechte Nasenloch.
- Atmen Sie langsam und entspannt durch das linke Nasenloch ein und aus.
- Wiederholen Sie das Ganze für drei bis fünf Minuten.
2. Die 4–6-Atmung
- Atmen Sie für ca. vier Sekunden sanft durch die Nase ein.
- Und atmen Sie für ca. sechs Sekunden wieder aus.
- Wiederholen Sie das Ganze für drei bis fünf Minuten.
Claude Flaig ist Atemcoach und Breathwork-Facilitator. Zusammen mit seiner Partnerin Rebecca führt er das Herzweg Yoga Studio in Meggen. www.claudeflaig.ch