Fasten – vom Krampf zur Lust
Fasten ist ein wichtiger Bestandteil vieler religiöser Traditionen. Im christlich-abendländischen Kontext hat der Verzicht auf die Aufnahme fester Nahrung eine lange Tradition. Lange wurde das Fasten als Last empfunden und gerne umgangen. Heute weiss man um gesundheitlich positive Effekte.
Barbara Zanetti
In der Westkirche wird als Fastenzeit der vierzigtätige Zeitraum des Fastens und Betens zur Vorbereitung auf Ostern hin bezeichnet. Schon für das 2. Jahrhundert ist ein zweitägiges Trauerfasten an Karfreitag und -samstag bezeugt. Im 3. Jahrhundert wurde die Fastenzeit vielerorts auf die ganze Karwoche ausgedehnt, später dann auf 40 Tage verlängert. Die Liturgie dieses Zeitraumes bereitete die Gläubigen und die Taufbewerber*innen auf das Geheimnis von Ostern vor sowie auf den Tod und die Auferstehung von Jesus Christus. In der frühen Kirche wurde nur an Ostern getauft.
Bezug auf das Fasten Jesu in der Wüste
Biblischer Hintergrund für die Festsetzung auf 40 Tage ist das gleich lange Fasten von Jesus in der Wüste. Die Zahl 40 erinnert auch an die Dauer der Sintflut, an die 40 Jahre des Zuges durch die Wüste des Volkes Israel, an die 40 Tage, welche Moses auf dem Berg Sinai verbrachte in der Gegenwart Gottes und an die Frist, welche der Prophet Jona der Stadt Ninive verkündete, um durch Fasten und Büssen ihren Untergang abzuwenden.
Schon im Alten Testament ist das Fasten und Beten eine verbreitete Empfehlung für die Gläubigen. Einigen Textstellen zufolge soll Jahwe, der Gott der Israelit*innen, Fasten fordern als Sühne für ihr Verhalten, als Reinigung oder zur Busse, das heisst für ein Umkehren zu Gott. Das Fasten spielte auch eine Rolle als Zeichen der Trauer. Weiter galt es als ein Mittel, um Jahwe Demut zu zeigen und seine Gnade und Hilfe zu erbitten. Auf dem Höhepunkt der kirchlichen Fastentradition im Mittelalter waren bis zu 130 Fastentage vorgeschrieben. Neben Fleisch galt es auf Milchprodukte, Eier und Wein zu verzichten. Und grundsätzlich weniger zu essen. Not macht erfinderisch: Mönche brauten ein Starkbier, das ihnen durch die Fastenzeit half. Vögel, Wassertiere und sogar Biber wurden kurzerhand als Fisch deklariert, der gegessen werden durfte.
Schon im Alten Testament ist das Fasten ein Mittel zur Sühne, Reinigung, Busse und ein Zeichen der Trauer.
Reformation schafft Fasten ab
Dass diese strengen Fastenregeln verschwanden, hat auch mit der Reformation zu tun. Mit einem provokativen Wurstessen am 1. Sonntag der Fastenzeit protestierte in Zürich Buchdrucker Christoph Froschauer mit Ulrich Zwinglis Unterstützung 1522 gegen die Regeln aus Rom. Die reformierte Kirche nennt die vierzig Tage vor Ostern auch nicht mehr Fastenzeit, sondern Passionszeit. Der Inhalt ist der gleiche, Vorbereitung auf die Osterfesttage, die Form eine andere. Die Reformator*innen standen in der spätmittelalterlichen Tradition einer verinnerlichten Frömmigkeit. Nicht die quantifizierbaren äusseren Akte waren wichtig, sondern die Gesinnung. So schreibt Martin Luther: «Kein Christ ist zu den Werken, die Gott nicht geboten, verpflichtet. Er darf also zu jeder Zeit jegliche Speise zu sich nehmen.» Seit einigen Jahrzehnten ist in der reformierten Kirche das Fasten wieder entdeckt worden. Dabei geht es nicht darum, zu überlieferten Speiseregeln zurückzukehren. Sondern um das Aufbrechen eigener Gewohnheiten, um dem Heiligen Geist Raum zu geben. In der katholischen Kirche wird heute nur noch am Aschermittwoch und Karfreitag das Fasten empfohlen und zwar in Form des Verzichtes auf Fleisch und Alkohol.
Fasten und Fas(t)nacht
Das Wort Fastnacht stammt von einem mittelhochdeutschen Wort ab, welches «Vorabend der Fastenzeit» bedeutet und ist belegt seit 1200. Die mittelalterliche Fasnacht wird auf das Werk «De civitate Dei» von Augustinus zurückgeführt. Die Fasnacht steht für den Staat des Teufels. Als lehrreiches Beispiel wurde daher die wilde, oftmals ausartende Fasnacht von der Kirche geduldet. Es sollte damit gezeigt werden, dass der Staat des Teufels und auch der Mensch vergänglich ist. Am Ende bleibt Gott siegreich. Mit dem Aschermittwoch musste die Fasnacht daher enden, um die unausweichliche Umkehr zu Gott zu verdeutlichen. Während die Kirche bei gotteslästerlichen Szenen während der Fasnacht untätig blieb, wurde ein Weiterfeiern in den Aschermittwoch hinein streng verfolgt.
Es fällt auf, dass das Backwerk von Fasnacht reich an Fett, Eiern und Zucker ist. In der Tradition war es Brauch, die verbotenen Speisen der Fastenzeit vorher noch aufzubrauchen. So heisst der Fastnachtsdienstag im französischsprachigen Raum: Mardi Gras (zu deutsch: fetter Dienstag), im englischsprachigen Pancake Tuesday (zu deutsch: Pfannkuchendienstag).
Es fällt auf, dass das Backwerk von Fasnacht reich an Fett, Eiern und Zucker ist.
Sinn und Bedeutung des Fastens
Es mag einleuchten, dass zur Vorbereitung auf Ostern Beten und Almosengeben gehören, wie es die kirchliche Tradition vorsieht. Warum gehört das Fasten dazu, und zwar ursprünglich so gewichtig, dass diese Zeit sogar den Namen Fasten trägt? Nicht nur im Westen, auch im Osten machte man sich dazu Gedanken. Der indische Politiker Mahatma Gandhi (1869–1948) schrieb, dass Fasten etwas anderes sei als nichts zu essen. Und der schweizerisch-deutsche Dichter Hermann Hesse (1877–1962) meinte: «Wenn ein Mensch nichts zu essen hat, ist Fasten das Klügste, was er machen kann.»
Zu allen Zeiten und in allen Religionen und Kulturen wird gefastet. Der Sinn kann sich wandeln, das Fasten bleibt. Die religiöse Dimension betont das Reinigen des Körpers und der Seele, die Willenskräfte sollen gesammelt und Busse getan werden. Mit Busse ist ein innerer Wandel gemeint, eine Umkehr zum göttlichen Geheimnis. Die Sinne werden geschärft und man kann sogar Ekstase erlangen durch Fasten. Fasten ist ein bewusster, freiwilliger Verzicht auf Nahrung. Man könnte es auch als Time-out verstehen, als eine Auszeit, in der wir den Alltag bewusster erleben und gestalten. Oftmals wird einem erst durch das Fehlen von Gewohntem, durch das Anderssein als die Routine, bewusst, was wir eigentlich täglich unbewusst machen. Das heisst beim Fasten eben vor allem unsere Essgewohnheiten. Es kann deutlicher werden, wann und warum, wir was essen. Der Unterbruch des Gewohnten kann zu einer Neuorientierung werden. Wie möchte ich neu meine Ernährung gestalten?
Viele Dinge sind in unserer Gesellschaft selbstverständlich geworden. Der Verzicht darauf für eine kleine Weile wird den Wert steigern, das abendliche Glas Wein, den Kaffee früh am Morgen oder das Stück Torte lernen wir neu schätzen und geniessen.
Wir gewinnen innere Freiheit
Da das Fasten Entschlossenheit und Selbstdisziplin braucht sowie eine gute Strategie und Ausdauer, gewinnen wir an Selbstachtung und innerer Freiheit. Wir sind weniger abhängig davon, dass Bedürfnisse erfüllt werden und können besser unterscheiden, was wir wirklich brauchen und was Scheinbedürfnisse sind, die Darunterliegendes verdecken.
Zum Fasten in der Fastenzeit gehört auch die politische Dimension, in der alten Sprache mit «Almosen geben» ausgedrückt. Es geht nicht nur um eine innerliche Neuausrichtung, sondern «das Gewissen wird hellsichtiger und mächtiger». Das heisst, die Welt wird intensiver und neu in den Blick genommen. Offenheit, Mitmenschlichkeit und Geduld werden kultiviert. Es entwickelt sich die Wahrnehmung, dass wir auf Gedeih und Verderben miteinander verbunden sind. Es gibt nur eine Welt und wir sind alle auf vielfältige Weise verbunden, das haben die Ereignisse der letzten Jahre nur allzu deutlich gezeigt.
So führen die kirchlichen Hilfswerke «Fastenopfer» und «Brot für alle» seit 1969 in der Fastenzeit jeweils eine ökumenische Kampagne durch. Durch sie soll das gesellschaftliche Bewusstsein geschärft werden für entwicklungspolitische Themen wie die Überwindung von Hunger und Armut, die Geschlechtergerechtigkeit und den Klimawandel. In verschiedenen Aktionen wird Geld gesammelt für entsprechende Projekte in der ganzen Welt.
Erstaunlicherweise geht es nicht wenigen Menschen, die in der kirchlichen Fastenzeit alljährlich auch das Fasten praktizieren, ganz ähnlich wie es Mahatma Gandhi einst formulierte: «Die Fastenzeiten sind Teil meines Wesens. Ich kann auf sie ebenso wenig verzichten wie auf meine Augen. Was die Augen für die äussere Welt sind, das ist das Fasten für die innere.»